Mit ein wenig eigener Anstrengung, so eine neue Studie, kann man eine Demenz zwar nicht heilen, aber womöglich verzögern und die Zahl der selbstbestimmten Jahre vermehren.
Natürlich macht die Demenz Angst. Gut die Hälfte der Deutschen, so eine DAK-Umfrage vom vergangenen Jahr, fürchtet sich davor, im Alter geistig abzubauen. Doch trotz aller Misserfolge bei der Behandlung der Erkrankung hat die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten auch Hoffnung machen können. Denn manche Risikofaktoren können wir selbst beeinflussen.
Am Alter können wir natürlich nichts ändern – und das fällt massiv ins Gewicht. Trifft die Alzheimersche Krankheit als häufigste Demenzform bei den unter 65-Jährigen nicht einmal ein Prozent, so sind es bei den über 90-Jährigen schon rund 36 Prozent. Diese Zahlen lassen sich aber auch ganz anders lesen: Selbst im hohen Alter sind zwei von drei Menschen nicht dement.
Was sie von den Kranken unterscheidet? Eine neue Studie im Wissenschaftsjournal „Nature Medicine“rückt ein relativ simples Mittel in den Blick, das dem Kopf auch noch im Alter guttut – und vielleicht sogar, wenn die gefürchtete Diagnose „Alzheimer“ schon gestellt wurde.
Was war bislang schon über die Risikofaktoren für eine Demenz bekannt?
Vor allem, dass eine gesunde Lebensführung eine wichtige Rolle spielt. Das klingt banal, eröffnet uns aber eine großartige Chance. Denn viele Risikofaktoren sind ganz allgemein für die Gesundheit und erst recht mit zunehmendem Alter wichtig: der Blutdruck etwa, auch die Blutwerte. Und weil darüber auch unabhängig von einer Altersdemenz schon viel geforscht wurde, ist klar, was wir tun können, damit nicht etwa durch einen massiv gestörten Stoffwechsel so ziemlich alle Werte zugleich entgleisen: das Gewicht kontrollieren, sich überwiegend pflanzlich ernähren, auf Drogen verzichten, hinreichend schlafen, unter Menschen sein. Und nicht zuletzt: sich regelmäßig bewegen. Vor allem auf die körperliche Aktivität haben sich die Forschenden in der neuen Demenz-Studie konzentriert.
Was genau wurde gemessen?
Das Team untersuchte, ob Bewegung den Verlauf der Alzheimer-Krankheit zumindest noch in einer sehr frühen „präklinischen“ Phase beeinflussen kann. Dafür stellten sich knapp 300 Freiwillige mit einem Durchschnittsalter von gut 72 Jahren zur Verfügung, 59 Prozent von ihnen Frauen. Kein Proband litt zu Beginn unter geistigen Beeinträchtigungen wie Gedächtnisstörungen. Etwa ein Drittel wies aber im Gehirn bereits erhöhte Werte eines Proteins mit dem Namen „Beta-Amyloid“ auf. Dieses Eiweiß wird schon seit Jahrzehnten mit der Alzheimerschen Krankheit in Verbindung gebracht.
Deren Ursachen sind allerdings noch nicht bekannt. Doch gibt es inzwischen Biomarker wie das Beta-Amyloid und auch ein zweites Eiweiß mit dem Namen „Tau“. Beide Proteine können im Gehirn zu Ablagerungen führen, deren Funktion ebenfalls noch nicht völlig geklärt ist. Erhöhte Konzentrationen gelten aber selbst dann als Warnsignal, wenn die Hirnleistung noch nicht eingeschränkt scheint. Spezielle bildgebende Verfahren können diese Eiweißablagerungen nachweisen und wurden für die Studie genutzt.
Wie wurde der Zusammenhang zwischen Hirnbefunden und Bewegung untersucht?
Mit Schrittzählern ließ sich die tägliche Aktivität über eine Woche objektiv bestimmen. Die Unterschiede waren dabei sehr groß und reichten von weniger als 3000 bis zu mehr als 7500 Schritten täglich. Über Zeiträume von bis zu zehn, in Einzelfällen sogar 14 Jahren wurden dann immer wieder Hirnscans durchgeführt, um Veränderungen bei den Eiweißablagerungen zu bestimmen. Dazu kamen jährliche Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstests und auch Bewertungen der Alltagsfunktionen, wie gut die Teilnehmenden also etwa zu Hause zurechtkamen. So ließ sich die jeweilige Aktivität mit der Entwicklung der Amyloid- und Tau-Proteine und auch mit der geistigen Leistungsfähigkeit vergleichen. Damit nicht andere Faktoren das Ergebnis beeinflussten, wurden etliche Parameter herausgerechnet oder angepasst. Das Alter und sogar jahreszeitliche Einflüsse zum Beispiel wurden in die Bewertung einbezogen, dazu individuelle Risiken für Herz und Kreislauf oder auch depressive Verstimmungen.
Zu welchem Ergebnis kam das Team?
Überraschend war zunächst, dass die Konzentration der Amyloid-Ablagerungen nicht von der täglichen Schrittzahl abhing, Bewegung auf dieses Protein also offenbar keinen großen Einfluss hat. Die war trotzdem wichtig. Denn bei Freiwilligen, die zu Beginn der Studie bereits erhöhte Amyloid-Werte hatten und damit an einem „präklinischen“ Alzheimer erkrankt waren, bremste eine hohe Aktivität den zweiten Biomarker. Die geringere Zunahme des Tau-Proteins ging einher mit einem ebenfalls langsameren Nachlassen der kognitiven Leistung. Das aber erhöhte die Chance, den Alltag weiter selbstständig zu bewältigen.
Dabei profitierten diejenigen am meisten von stärkerer Aktivität, die zuvor besonders inaktiv gewesen waren. Eine positive Entwicklung wurde schon mit 5000 bis 7500 Schritten täglich erreicht, und mehr Schritte brachten keinen weiteren Vorteil. Bewegung scheint demnach zwar keinen Einfluss auf die Amyloid-Ablagerungen im Gehirn zu haben, wohl aber auf die Entwicklung der Tau-Konzentration. Gerade für die aber war auch schon früher eine Verbindung zur geistigen Leistungsfähigkeit nachgewiesen worden. Bewegung scheint bei Alzheimer also insbesondere gegen Krankheitsprozesse zu wirken, die mit dem Tau-Protein zu tun haben.
Was bedeutet das für Menschen, die sich um die geistige Gesundheit sorgen?
Ein paar Einschränkungen müssen bedacht werden. So war diese Studie „beobachtend“. Es wurde also kein Experiment durchgeführt, bei dem beispielsweise bestimmte Aktivitätsmuster vorgegeben und – möglichst mit anders instruierten Kontrollgruppen – auf ihre Wirkung untersucht werden konnten. Das wäre vermutlich schon ethisch problematisch gewesen. Jedenfalls lässt sich auch aufgrund der neuen Studie nicht mit letzter Sicherheit sagen, dass es tatsächlich die Bewegung war, die dem Gehirn genützt hat. Ermutigend aber sind die Resultate allemal. Spannend ist auch, dass sich der positive Effekt auch bei denen zeigte, die nach den geltenden Alzheimer-Kriterien bereits zu den Kranken zählen, auch wenn sie noch symptomlos sind. Natürlich gibt es dafür keine Garantie, doch ein hinreichendes Maß täglicher Bewegung kann offenbar auch diesen Kranken helfen, länger selbstbestimmt zu leben und nicht zum „Pflegefall“ zu werden – und zwar ohne Nebenwirkungen und ganz umsonst.
Zum Vergleich: Der in diesem Jahr zugelassene Antikörper Lecanemab – der in der Frühphase der Demenz das Fortschreiten der Krankheit zumindest etwas verlangsamt – kostet pro Jahr rund 24.000 Euro. Außerdem kommt es bei nicht wenigen Patienten zu heftigen Nebenwirkungen, wie etwa Hirnschwellungen.
Wer gesund ist, sollte die jetzt wieder unterstrichene Chance ohnehin ergreifen und dem Demenzrisiko mit regelmäßiger körperlicher Aktivität begegnen – möglichst schon in jungen Jahren. Bis zu 45 Prozent der Demenzfälle, so wissenschaftliche Schätzungen von 2024, ließen sich allein durch eine strikte Korrektur des Lebensstils verhindern. Zwar wird diese Zahl von einigen Fachleuten für rein theoretisch und letztlich übertrieben gehalten. An der einfachen Botschaft dahinter aber ändert das nichts: Was Herz und Kreislauf guttut, nützt auch dem Kopf.