Filmfestspiele: Jafar Panahi geehrt – Cannes politisch wie lange nicht

Die Filmfestspiele in Cannes feiern das politische Kino: Jafar Panahi gewinnt mit „Un Simple Accident“ die Goldene Palme. Auch die Berlinerin Mascha Schilinski wird ausgezeichnet.

Mit der Goldenen Palme für Jafar Panahis „Un Simple Accident“ hat Cannes 2025 ein politisches Zeichen gesetzt – und sich selbst zum Schauplatz eines der engagiertesten Jahre seiner Geschichte gemacht. Nicht nur gewann mit Panahis Film ein so künstlerisch überzeugendes wie politisch relevantes Werk. Das gesamte Festival war neben Star-Rummel von politischen Diskussionen geprägt.

Der Iraner Panahi setzt sich in „Un Simple Accident“ (englischer Titel: „It Was Just an Accident“) mit Erlebnissen im Gefängnis und der Gewalt des iranischen Regimes auseinander. „Der Film entspringt einem Gefühl des Widerstands, des Überlebens, das heute absolut notwendig ist“, sagte die Jury-Vorsitzende Juliette Binoche

Heimlich gedrehter Film handelt von Erlebnissen im Gefängnis

Von Juli 2022 bis Februar 2023 war Panahi im Iran inhaftiert, zuvor lange mit einem Arbeits- und Reiseverbot belegt. Sein heimlich gedrehter Film ist von seiner Zeit im Gefängnis inspiriert, wie er erzählte. Gespräche, die er dort mit anderen Häftlingen geführt habe, seien in den Film eingeflossen. 

Das Werk handelt von einer Gruppe ehemaliger Gefangener, die in einer Kurzschlussreaktion ihren einstigen Peiniger entführen, der sie mutmaßlich in einem iranischen Gefängnis gefoltert hat. Sie begeben sich auf einen chaotischen Roadtrip, auf dem die Gruppe in hitzige Diskussionen darüber gerät, wie und ob sie sich an ihm rächen.

Öfter geht es um die zutiefst gewaltvollen Erfahrungen, die die Beteiligten in Gefangenschaft gemacht haben. Trotz des schweren Themas gibt es im Film aber auch humorvolle Momente. 

„Der kreative Drang kann die Welt verändern, kann Situationen verändern, die aus menschlicher Sicht unmöglich zu ertragen sind“, sagte Binoche über Panahis Werk. Zu Beginn des Festivals hatte die französische Schauspielerin einen offenen Brief unterzeichnet, in dem eine Reihe von Filmstars Israels Armee-Einsatz in Gaza kritisierten. Einige Filme mit dem Schauplatz Gaza liefen beim Festival

Cate Blanchett: Kino kann Weg für gesellschaftliche Debatten ebnen

Zudem war in Cannes immer wieder die Politik des US-Präsidenten Donald Trump Thema, der vor dem Festival angekündigt hatte, Zölle auf im Ausland produzierte Filme erheben zu wollen. Dafür erntete er in Cannes von allen Seiten Kritik und Hohn, am prominentesten direkt zur Eröffnung von Hollywood-Star Robert De Niro.

Die Rede vor der Preisvergabe an Panahi übernahm Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett. Sie sagte, dass Cannes dem Kino den Weg für eine breitere gesellschaftliche Diskussion ebne. „Hier werden diese Dialoge ermutigt, Wurzeln zu schlagen, wo sie sonst Gefahr laufen, von der selbstsüchtigen Welt nationaler und persönlicher politischer Ambitionen vereinnahmt zu werden.“

Das sind die weiteren Preisträger

Einen anderen politischen Schauplatz hat der Thriller „O Secreto Agente“ des Brasilianers Kleber Mendonça Filho. Er wurde bei den 78. Filmfestspielen mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet, zudem bekam Wagner Moura die Auszeichnung als bester Darsteller. Der Film erzählt von einem Akademiker, der 1977 während der Militärdiktatur verfolgt wird.

Doch nicht alle Preisträger-Filme waren dezidiert politisch. Der Große Preis der Jury, die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals, ging an „Sentimental Value“ von Joachim Trier. Der Norweger erzählt darin ein vielschichtiges Vater-Tochter-Drama.

Für das beste Drehbuch wurden Jean-Pierre und Luc Dardenne mit „Jeunes Mères“ geehrt. Sie erzählen in dem Sozialdrama von jungen Müttern, die in prekären Umständen leben. Einen Spezialpreis der Jury erhielt der Chinese Bi Gan für „Resurrection“. Der Preis als beste Darstellerin ging an Nadia Melliti für ihre Rolle im Coming-of-Age-Drama „La Petite Dernière“. 

Mascha Schilinski nimmt Preis mit politischer Rede entgegen

Die Berlinerin Mascha Schilinski erhielt für das Drama „In die Sonne schauen“ den Preis der Jury, den sie sich mit dem Filmemacher Oliver Laxe („Sirât“) teilt. Schilinski erzählt in „In die Sonne schauen“ von vier jungen Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten auf einem Bauernhof in der Altmark leben. Es geht um häusliche Gewalt, verdrängte Sehnsüchte oder vererbte Traumata, die die vier Frauen erleben.

Auch Schilinski wurde bei der Preisverleihung politisch: „Wir möchten diesen Preis all jenen widmen, die an Orten leben, an denen es nicht leicht ist oder unmöglich oder kaum möglich ist, Filme zu machen – und besonders jungen Filmschaffenden und insbesondere Frauen: Eure Stimmen sind wichtig. Gebt sie nicht auf.“

Panahi: „Das Wichtigste ist die Freiheit unseres Landes“

Panahi nutzte in Cannes seine Stimme, um sich an seine Landsleute zu richten. „Das Wichtigste ist unser Land und die Freiheit unseres Landes“, sagte der 64-Jährige. „Lasst uns gemeinsam den Moment erreichen, in dem niemand mehr wagt, uns vorzuschreiben, was wir tragen, was wir tun oder lassen sollen.“ Nach der Verleihung erinnerte er in einer Pressekonferenz an seine damaligen Mithäftlinge.

Nachdem seine Filme über 15 Jahre ohne ihn auf großen Festivals gezeigt wurden, konnte Panahi dieses Mal persönlich nach Cannes reisen. Sein Ausreiseverbot wurde vor gut zwei Jahren aufgehoben.

Als sein Name als Gewinner der Goldenen Palme fiel, erhob sich das Publikum im Saal zu tosendem Applaus. Panahi warf die Arme in die Luft und lehnte sich in seinen Sitz zurück, bevor er seinen Mitarbeitern applaudierte. Seine persönliche Anwesenheit in Cannes gehörte zu den stärksten Bildern eines an starken Bildern reichen Filmfestivals.

Vielleicht gefällt Ihnen auch