Julia Klöckner fordert ein Verbot der Prostitution, Gesundheitsministerin Nina Warken schließt sich an. Wie realistisch ist die Änderung? Alles Wissenswerte im Überblick.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat Deutschland als „Puff Europas“ bezeichnet – und damit mal wieder eine Debatte losgetreten.
Bei einer Preisverleihung einer Veranstaltung der Alice-Schwarzer-Stiftung sagte die CDU-Politikerin: „Ich bin fest der Überzeugung: Wir müssen die Prostitution und den Sexkauf hierzulande endlich auch verbieten.“
Ähnlich sieht das ihre Parteifreundin Nina Warken, Bundesgesundheitsministerin und Vorsitzende der Frauenunion. „Deutschland braucht wie andere Länder auch ein strafbewehrtes Sexkaufverbot für Freier“, sagte Warken. Sie bezeichnete Deutschland als das: „Bordell Europas„.
Ist die Lage wirklich so schlimm?
Forderungen zu Prostitution: Was steckt hinter den Aussagen?
Die Forderung nach einem Sexkaufverbot ist keine neue Position der Union. Schon in den Koalitionsverhandlungen hatte sie auf die Einführung des sogenannten „Nordischen Modells“ gedrängt.
Dieses Modell sieht die Bestrafung von Freiern und die Schließung von Bordellen vor. Der Kauf sexueller Dienstleistungen ist demnach illegal, der Verkauf von Sex bleibt dagegen straffrei. Prostituierte erhalten Hilfe, um sich eine neue Existenz aufzubauen.
Allerdings gab es dazu keine Einigkeit mit der SPD.
Im Koalitionsvertrag wurde sich deshalb darauf verständigt, dass man eine wissenschaftliche Untersuchung des seit 2017 geltenden Prostituiertenschutzgesetzes abwarten wolle. Bei Bedarf wolle man dann anschließend „mit Unterstützung einer unabhängigen Experten-Kommission“ nachbessern. Die Untersuchung liegt inzwischen vor.
Wie ist die aktuelle Lage in Deutschland?
Die freiwillige Prostitution ist in Deutschland legal. Seit den 1980er-Jahren haben sich Sexarbeiterinnen in Deutschland organisiert und die gesellschaftliche Anerkennung ihres Berufs gefordert, was dazu führte, dass seit 2002 die Prostitution hierzulande nicht mehr als „sittenwidrig“ gilt.
2016 verabschiedeten SPD, Grüne, FDP und Die Linke das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz, unter anderem mit dem Ziel, Ausbeutung und Kriminalität in dem Bereich zu reduzieren. Seitdem besteht für Prostituierte die Pflicht, sich regelmäßig anzumelden und gesundheitlich beraten zu lassen. Bordelle brauchen eine Erlaubnis für den Betrieb, und müssen sich dazu etwa an gesetzliche Mindestanforderungen halten.
Seit Juni diesen Jahres liegt die erwartete wissenschaftliche Untersuchung des Gesetzes vor. Dazu wurden unter anderem 2350 Prostituierte befragt, ebenso zahlreiche Behördenmitarbeiter, Kunden und Gewerbetreibende.
Der Schluss der Expertinnen und Experten: Das Gesetz habe neben Stärken auch einige Schwächen. Letztere seien allerdings „weitgehend behebbar“, heißt es im Abschlussbericht, weshalb das Gesetz „vor allem Potenzial“ habe. Die Prüfer mahnten zum Beispiel mehr Beratung zu Gesundheitsaspekten an und eine bessere Kontrolle der Bordelle.
Familienministerin Karin Prien, ebenfalls CDU, will nun eine Kommission einsetzen, die Vorschläge zu einer Weiterentwicklung des Gesetzes machen soll.
Ist Deutschland wirklich das „Bordell Europas“?
Klöckner und Warken sind nicht die ersten, die das so drastisch sehen. Schon 2013 betitelte der britische „Guardian“ einen entsprechenden Artikel: „Warum Deutschland jetzt Europas größtes Bordell ist“. Das zielte auf die seit 2002 in Deutschland geltende Rechtslage ab, die als eine der liberalsten Europas, wenn nicht der Welt galt. Mehrere Berichte hoben einen Anstieg im Sextourismus hervor, etwa in den beliebten Rotlichtvierteln auf der Hamburger Reeperbahn, in Frankfurt oder in Berlin.
Die tatsächlich verfügbaren Zahlen dürften sehr ungenau sein, zuletzt waren rund 31.000 Prostituierte in Deutschland offiziell registriert, Schätzungen zufolge liegt deren Zahl aber weit höher. Von den angemeldeten Personen sind nur rund 20 Prozent Deutsche, viele stammen aus Osteuropa
Wie gut funktioniert das „Nordische Modell“?
Die beiden CDU-Frauen Klöckner und Warken befürworten dieses Modell, wie es etwa in Schweden, Norwegen oder Frankreich gilt. Es stellt Prostitution für Freier und Bordelle unter ein Verbot.
Grundsätzlich ist die Datenlage zur Wirksamkeit schlecht. Experten bewerten die Regelung unterschiedlich. Zur Situation in Schweden, wo das „Nordische Modell“ bereits seit den späten 90ern gilt, sagte die Forscherin Susanne Dodillet dem „Spiegel“ vor einigen Jahren, dass sich die Zahl der Straßenprostituierten dadurch verringert haben soll.
Nur wisse man nicht, „ob das ein Erfolg des Gesetzes ist oder ob das Gewerbe, die Anbahnung von Sexgeschäften, nur ins Internet abgewandert ist“.
Unter anderem der Deutsche Juristinnenbund spricht sich gegen ein solches Sexkaufverbot aus. Zwar sei Prostitution mit erheblichen Risiken verbunden, darunter auch Gewalt und Ausbeutung. Allerdings lasse sich nicht belegen, dass das „Nordische Modell“ diese Risiken verringern würde. Eher brauche es stärkere Maßnahmen gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution.
Wie realistisch ist eine Änderung?
Es ist derzeit unwahrscheinlich, dass es zu den von Warken und Klöckner geforderten Änderungen kommt. Schließlich soll sich die von Karin Prien noch einzusetzende Kommission nur mit Änderungen am Prostituiertenschutzgesetz befassen, nicht mit dessen Abschaffung.
Darauf dürfte schon der Koalitionspartner SPD pochen. „Im Koalitionsvertrag haben wir uns klar darauf verständigt, dass (…) von einer Regierungskommission Empfehlungen zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Prostituiertenschutzgesetzes erarbeitet werden“, sagte Josephine Ortleb dem stern. „Diese Empfehlungen liegen uns derzeit noch nicht vor.“ Es irritiere sie, sagte die zuständige SPD-Berichterstatterin, „dass jetzt eine Diskussion über das Nordische Modell losgetreten“ werde. Das lehne die SPD ab.
Auch bei den Grünen stößt der Vorstoß aus der Union auf Unverständnis: „Wer gegen Ausbeutung vorgehen will, muss für Rechte, Selbstbestimmung und Sicherheit von Sexarbeiter*innen kämpfen – nicht gegen sie“, sagt Denise Loop, Sprecherin für Menschenhandel und Sexarbeit, dem stern. Das Prostituiertenschutzgesetz müsse so verbessert werden, dass „die Rechte von Sexarbeiter*innen gestärkt werden und die legale Arbeit sicherer wird“, sagte Loop.
Derzeit seien viele Prostituierte nicht angemeldet, da „eine Anmeldung zu Stigmatisierung, mehr Angst und Problemen führt“, glaubt Loop. Gleichzeitig seien die bisherigen Kontrollen kaum ausreichend, um Menschenhandel und Zwangsprostitution zu entdecken. Deshalb brauche es mehr geschultes Personal in den Behörden, unabhängige Beratungsstellen und niedrigschwellige Hilfe bei der Gesundheitsberatung, fordert die Grünen-Politikerin.