Meinung: Ist die Welt reif für einen schwulen „Sexiest Man Alive“? Offenbar nicht

Als erster offen homosexueller Mann wurde Jonathan Bailey zum Sexiest Man Alive ernannt. Doch eine Sache kann selbst der sich wohl nicht erlauben: radikale Offenheit.

Was wurde auf das amerikanische Magazin „People“ schon geschimpft: Jedes Jahr vergibt die Redaktion den Titel „Sexiest Man Alive“ an einen Promi – und nicht immer findet die Wahl Zustimmung. Dieses Mal kommt das Titelbild jedoch mit einem selbstbewussten Untertitel daher: „Wir wissen, dass wir damit den Nagel auf den Kopf getroffen haben“ ist neben dem hübschen Gesicht von Schauspieler Jonathan Bailey zu lesen. 

Der Brite darf sich seit Dienstag mit diesem Titel schmücken und sprach bei der Bekanntgabe in der Talkshow von Jimmy Fallon von der „Ehre seines Lebens“. Gefeiert wird die Wahl im Netz nicht nur wegen dem Offensichtlichen (natürlich ist Bailey sexy!). Oder dem Naheliegenden (seine Promotour für „Wicked 2“ steht an). Sondern auch, weil sie Geschichte schreibt. Bailey ist der erste offen homosexuelle Mann, dem dieser Titel verliehen wird. Ein starkes Signal angesichts der Tatsache, dass die schamlose Objektifizierung von Jahr zu Jahr angestaubter wirkte. Doch die Art der Bekanntgabe trübt das wichtige Signal.

Der 37-Jährige ist auch deswegen eigentlich der perfekte Sexiest Man Alive, weil er häufig, gerne und sehr charmant über LGBTQ-Rechte spricht und darüber, wie wichtig Sichtbarkeit ist. Umso unpassender drängen sich zwischen den Zeilen die Kompromisse auf, die Bailey bei diesem PR-Stunt offenbar eingehen musste. Während in den Pressereaktionen der historische Aspekt der Wahl meist nach vorne gekehrt wurde – übrigens nicht nur in queeren Publikationen –, findet sich im begleitenden Titel-Interview selbst keine einzige Frage dazu. Stattdessen gibt es einen kleinen Infokasten, in dem über Baileys Charity „The Shameless Fund“ informiert wird, der sich für LGTBTQ+-Organisationen einsetzt. Bailey sei „stolzes Mitglied der Community“ ist dort zu lesen. Immerhin.

Jonathan Bailey und die Verklemmtheit in den USA

Fast schon unangenehm wurde es jedoch bei Jimmy Fallon: Dort hatte man sich offensichtlich auf einen verklausulierten Wortlaut geeinigt, um den Elefanten im Raum bloß nicht direkt anzusprechen. „Im Jahr 2025 freut es mich sehr, dass ‚People‘ jemandem die Ehre zukommen lässt, der einen sexy Mann zu schätzen weiß“, sagte Bailey gewohnt charmant, bevor Fallon ohne eine Miene zu verziehen das Thema wechselte. 

Dass Fallon seinen Gast nicht einmal offen darauf anspricht, dass dieser als schwuler Mann Geschichte geschrieben hat, spricht Bände über den Grad der Verklemmtheit in den USA. Und über die sehr reale Bedrohung, die queere Menschen dort mehr und mehr ausgesetzt sind.

Es ist bitter, dass über Baileys offen ausgelebte Sexualität in Teilen der amerikanischen Medien offenbar geschwiegen werden muss. Jonathan Bailey – und die Amerikaner – haben Besseres verdient.

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