Eva Maria Pommer aus Bottrop: Tote Frau aus den Dünen nach Jahrzehnten identifiziert – doch Fragen bleiben

Ein Cold Case wird wieder heiß: 21 Jahre nach dem Fund einer Leiche in den Niederlanden kennt die Polizei den Namen der Toten. Viele Spuren führen nach Deutschland.

Steht ein jahrzehntealtes Verbrechen jetzt vor der Aufklärung? Nach neuen Erkenntnissen von niederländischen Ermittlern keimt bei den deutschen Behörden Hoffnung auf, das Rätsel um den Tod einer Frau aus Bottrop lösen zu können.

Am 4. Juli 2004 – in Portugal steht das Finale der Fußball-Europameisterschaft zwischen Griechenland und dem Gastgeber an – macht ein Spaziergänger an der Nordseeküste in den Dünen nördlich von Den Haag eine grausige Entdeckung. Es ist spät am Nachmittag, es ist regnerisch, die Gegend ist einsam. Im Sand liegt eine Frau. Sie ist tot.

Strand von Wassenaar: Fundort der Leiche
© Christophe Gateau / DPA

Die niederländische Polizei rückt mit einem Großaufgebot zu dem Strandabschnitt an, sichert Spuren, untersucht den Leichnam. Hinweise auf Gewaltanwendung finden die Beamten zunächst nicht, stutzig sind sie trotzdem. Allein das angenommene Alter, 30 bis 50 Jahre, macht ein Fremdverschulden wahrscheinlich. Doch wer die Tote ist, wissen die Ermittler nicht. Nicht an jenem Sonntag, nicht in den Tagen darauf, nicht in den Wochen und Monaten – und auch nicht nach zwei Jahrzehnten. Die Ermittlungen kommen nicht voran.

Wer ist „Die Frau mit den deutschen Schlüsseln“?

Doch es gibt Hinweise: Spezielle chemische Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie in Osteuropa geboren wurde und aufgewachsen ist. Später hat sie vermutlich mindestens fünf Jahre in Westeuropa gelebt. Mutmaßlich in Deutschland. Vieles verweist auf einen Wohnort im östlichen Nachbarland: Ihre Kleidung wurde vorwiegend in Deutschland verkauft, ihre Sonnenbrille stammt vom deutschen Händler Apollo und auch die drei Schlüssel, die die Frau an einem blauen Karabinerhaken bei sich trägt, sind von den deutschen Marken Wilka und Winkhaus. Als „Die Frau mit den deutschen Schlüsseln“ findet die unbekannte Tote bald Eingang in die Akten von Interpol. 

Drei Schlüssel deutscher Hersteller – ein Indiz für die Herkunft der unbekannten Toten
© Interpol

Doch auch die internationale Zusammenarbeit bringt die Niederländer nicht weiter. Es gibt keinen Vermisstenfall in Deutschland, der sich mit der Leiche am Strand in Verbindung bringen lässt. Auch Bilder der Frau, die auch hierzulande veröffentlicht werden, bringen  keine Hinweise auf ihre Identität. Jahrelang arbeiten die Ermittler an einem Durchbruch – zunächst vergeblich.

Fall wird bei „Aktenzeichen XY … ungelöst“ gezeigt

2024 nehmen sie einen weiteren Anlauf: Ein Jahr zuvor hat Interpol die Operation „Identify Me“ ins Leben gerufen. Mit der öffentlichkeitswirksamen Kampagne wollen Kriminalpolizeibehörden in Westeuropa die Namen von Dutzenden toten Frauen in Erfahrung bringen und setzen dabei auch auf prominente Unterstützung. In Deutschland unterstützen zum Beispiel ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein und Boxweltmeisterin Regina Halmich „Identify Me“ und rufen dazu auf, Hinweise zu geben. Die Frau mit den deutschen Schlüsseln“ ist einer von elf Fällen aus den Niederlanden.

Und auch in Deutschland geht die Polizei noch einmal in die Öffentlichkeit. Im selben Jahr berichtet das ZDF-Fahndungsmagazin „Aktenzeichen XY … ungelöst“ über die unbekannte Tote, zeigt die Bilder der Polizei. Doch auch nach der Ausstrahlung der Sendung bleibt das Rätsel bestehen.

Skizze der unbekannten Toten
© Interpol

Jetzt, 7769 Tage nach der grausigen Entdeckung des Spaziergängers in den Dünen bei Den Haag, meldet das federführende Polizeipräsidium Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen einen Erfolg: Die Tote hat einen Namen. Wie genau die Ermittler ihn herausgefunden haben, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Klar ist nur: Es hat einen Hinweis an die niederländische Polizei gegeben – und anschließend einen DNA-Test. Er führt zweifelsfrei zu Eva Maria Pommer aus Bottrop. Die damals 35 Jahre alte Studentin verschwand im Juli 2004 spurlos. 

Polizei bittet bei Cold Case um Hilfe

Auffällig war schon damals: In ihrer Wohnung in der Bothenstraße im Zentrum Bottrops blieb die Handtasche mit sämtlichen Papieren zurück. „Zum damaligen Zeitpunkt gab es keine konkreten Hinweise, wo sie sein könnte“, erklärt eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Recklinghausen. Zudem gilt: Erwachsene Personen können ihren Aufenthaltsort frei bestimmen. Liegen keine Anhaltspunkte für ein Verbrechen vor, ist ein Verschwinden nicht automatisch ein Fall für die Polizei. Da der Leichenfund und die Vermisstenmeldung nicht zeitnah waren, seien die Fälle nicht in Verbindung gebracht worden, heißt es zudem.

KI-optimierte Frontalaufnahme von Eva Maria Pommer
© Polizei Niederlande

Die Ermittler haben nun zwar einen Namen – aufgeklärt ist der Tod von Eva Maria Pommer damit aber noch lange nicht. Die Identität der Frau zu kennen, eröffnet jedoch neue Ermittlungsmöglichkeiten. Ihr früheres Umfeld, ihre Gewohnheiten, ihre Biografie – alles wird jetzt von den Kriminalisten durchleuchtet. Und auch dabei hoffen die Beamten wieder auf Hilfe aus der Bevölkerung. Sie fragen nach Hinweisen zu ihrem Leben vor dem Leichenfund; insbesondere ihre Kontakte und Aufenthaltsorte im Sommer 2004 sind für die Ermittler interessant, aber auch möglicherweise geäußerte Reisepläne. Ihre Krankengeschichte könnte für die Lösung des Falls ebenfalls relevant sein. Wer kennt einen Arzt der damals 35-Jährigen? Sie hatte mehrere markante Narben: auf der Stirn, am Kinn, am rechten Unterbauch, am rechten Oberschenkel. Zudem hatte sie einen Schwerbehindertenausweis.

„Jeder Hinweis kann die polizeilichen Ermittlungen voranbringen“, appellieren die Ermittler. Zwar ist die Todesursache von Eva Maria Pommer weiter ungeklärt, ein Fremdverschulden wird aber ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Der jetzige Ermittlungserfolg kann dazu führen, dass nach mehr als zwei Jahrzehnten der Mörder einer jungen Frau gefasst wird. Der Cold Case ist wieder heiß.

Hinweise zum Fall nehmen das Polizeipräsidium Recklinghausen unter der Telefonnummer (0800) 2361550 oder der E-Mail-Adresse [email protected] sowie jede andere Polizeidienststelle entgegen. Im Internet ist zudem ein Hinweisportal eingerichtet.

Quellen: Polizeipräsidium Recklinghausen, Bundeskriminalamt (1), Bundeskriminalamt (2), „Identify Me“, Interpol, Nachrichtenagenturen DPA und AFP

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