Koalition beschließt scharfe Bürgergeld-Sanktionen – Merz: „Mehr Gerechtigkeit“

Jobverweigerer im Bürgergeld müssen bald mit deutlich schärferen Sanktionen rechnen. Die Spitzen der Bundesregierung einigten sich beim Koalitionsausschuss in der Nacht auf Donnerstag unter anderem auf die Streichung aller Bezüge für Arbeitslose, die wiederholt Jobangebote ablehnen. Damit setzt die Union ein zentrales Wahlversprechen um, die SPD stimmt einer teilweisen Rückabwicklung der von ihr damals vorangetriebenen Bürgergeldreform von 2022 zu. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sieht damit die soziale Gerechtigkeit gestärkt, Grüne, Linke und Sozialverbände warnten vor einer Politik der sozialen Kälte.

Die Komplett-Streichung des Bürgergelds für sogenannte Totalverweigerer war in der Koalition lange umstritten. Während die Union immer wieder darauf pochte, verwies die SPD auf verfassungsrechtliche Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hatte in mehreren Beschlüssen das Grundrecht aller Bürger in Deutschland auf ein menschenwürdiges Existenzminimum festgestellt.

Schon im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, das vor drei Jahren von der damaligen Ampel-Koalition eingeführte Bürgergeld durch eine „neue Grundsicherung“ zu ersetzen. Nun konnten sich die Regierungsparteien aber auch bei den Sanktionen einigen: Wer zum zweiten Mal einen Termin im Jobcenter verpasst, soll künftig 30 Prozent weniger Bürgergeld bekommen. Nach dem dritten versäumten Termin soll kein Geld mehr gezahlt werden.

„Es gilt wieder das Prinzip ‚Fördern und Fordern‘ – für mehr Gerechtigkeit in Deutschland“, schrieb Merz bei X. Die Reform solle nun rasch umgesetzt werden, sagte Merz am Abend im ARD-„Brennpunkt“. Er gehe von einem Bundestagsbeschluss Anfang 2026 aus, „im Frühjahr nächsten Jahres ist das Gesetz spätestens in Kraft“, sagte Merz.

Merz sagte im „Heute Journal“ des ZDF mit Blick auf Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, die Koalition habe sich „mit der Verfassungsrechtsprechung ausführlich befasst“ und diese „diskutiert“. Das Verfassungsgericht habe „nie dem Gesetzgeber so enge Grenzen gesetzt, wie es häufig behauptet worden ist.“

Arbeitsministerin Bärbel Bas betonte am Donnerstag: „Wir fördern Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Wer nicht mitmacht, wird es schwer haben.“ Die SPD-Chefin warnte zugleich vor zu hohen Erwartungen an mögliche Einsparungen des Staates. „Der Betrag wird sehr klein sein.“ Merz dagegen zeigte sich am Abend im ZDF „sehr zuversichtlich, dass wir mit diesem System Geld sparen“.

Die Einigung im Koalitionsausschuss stieß auf Lob, aber auch scharfe Kritik. CDU-Chef Carsten Linnemann begrüßte, dass Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gestärkt würden. Es werde verhindert, „dass Menschen in irgendwelchen Maßnahmen versacken, aus denen sie nicht wieder rauskommen“, sagte er der „Rheinischen Post“. 

Der Jungen Union gingen die Pläne sogar nicht weit genug. Bas müsse „Rechte und Pflichten beim Bürgergeld wieder definieren“, forderte JU-Chef Johannes Winkel im „Spiegel“. Ohne dieses Mindestmaß könne kaum verhindert werden, „dass Leute sich im System einrichten“.

Juso-Chef Philipp Türmer attackierte den Koalitionspartner: „Die Union tut immer so, als wenn genügend Härte beim Bürgergeld plötzlich alle Probleme im Bundeshaushalt und auf dem Arbeitsmarkt lösen würde“, sagte Türmer dem „Spiegel“.

Teile der Bundestags-Opposition warnten vor Armutsrisiken. „Was hier vorgelegt wurde, ist wirklich harter Tobak“, sagte Grünen-Chef Felix Banaszak den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Linken-Chefin Ines Schwerdtner warf der Koalition Politik auf Kosten der Schwächsten vor.

Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB, Yasmin Fahimi, sprach von geplanten „drakonischen Strafen, um vielleicht ein paar Hundert Menschen aus dem Bürgergeld zu drängen“. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte sie: „Ich denke nicht, dass das verfassungsgemäß ist.“ Das gelte vor allem für die Komplettstreichung.

Auf Kritik stieß die Einigung auch bei Sozialverbänden. Die Vorstandvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, sagte der „Rheinischen Post“, es müsse „auch nach oben“ geblickt werden. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Joachim Rock, lehnte die Pläne ebenfalls ab. „Die Pläne der Bundesregierung sind ein ungerechtfertigtes und unsoziales Misstrauensvotum gegen Arbeitssuchende“, sagte Rock der „Rheinischen Post“. 

Merz wies die Kritik von Opposition und Gewerkschaften zurück. „Es wird in Deutschland niemand obdachlos. Jeder, der eine Wohnung oder ein Dach über dem Kopf braucht, bekommt ein Dach über dem Kopf“, sagte Merz in der ARD. Aber bei denen, die sich nicht einmal beim Jobcenter meldeten, müsse davon ausgegangen werden, dass sie nicht auf Hilfe des Sozialstaats angewiesen seien.

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