Tierheime im Südwesten sind überfüllt, viele Streunerkatzen leiden. Warum setzen bisher nur wenige Gemeinden auf eine Kastrationspflicht – und was bringt sie wirklich?
Rottweil und Pforzheim haben es vor kurzem getan, Stuttgart will es tun, weitere Kommunen haben es längst getan, nun tut es sogar geschlossen ein ganzer Landkreis. Und Experten halten es unisono für sinnvoll: Eine Katzenschutzverordnung mit Kastrationspflicht für Katzen. Aber was bringt das? Und warum machen im Südwesten nicht alle Kommunen mit?
Warum sollen Katzen sich denn nicht fortpflanzen dürfen?
Weil es viel zu viele Katzen gibt, die Tierheime überfüllt sind und die massenhafte Vermehrung zu großem Elend bei den Tieren führt. Am 16. August erst schrieb der Deutsche Tierschutzbund mal wieder einen Brandbrief – unterzeichnet von zehn Tierschutzvereinen und Tierheimen aus Baden-Württemberg und Bayern.
Tierheime und Pflegestellen platzten aus allen Nähten, die Konten seien leer und die Helferinnen und Helfer am Rand der Erschöpfung, hieß es darin. „Wir arbeiten seit Jahren am Limit – und trotzdem kommen jedes Jahr mehr Katzen: krank, verletzt, verhungert.“ Jedes Jahr landeten teils tausenden Katzen pro Einzugsgebiet bei den Aufnahmestellen: „Abgemagert, voller Parasiten, verletzt, teils infiziert mit tödlichen Krankheiten.“
Im vergangenen Jahr fing der Tierschutzverein Mensch und Tier Schwäbische Alb auf einem einzigen Bauernhof 580 frei lebende Katzen ein. Der Landwirt selbst war von 15 Katzen auf seinem Hof ausgegangen, berichtete die Vereinsvorsitzende Svenja Große-Kleffmann.
Was bringt eine Kastrationspflicht?
Das Leid Tausender Straßenkatzen würde langfristig gestoppt, Tierheime und Tierschutzvereine entlastet, so der Deutsche Tierschutzbund. Streunende Katzen bedrohen zudem die Artenvielfalt. „Des Menschen liebstes Haustier ist ein erfolgreicher Jäger, zum Leidwesen vieler Wildtiere“, schrieb dazu jüngst der Nabu Baden-Württemberg. Denn die Samtpfoten fangen nicht nur Mäuse, sondern auch Libellen, Blindschleichen. Zauneidechsen und leider auch Vögel aller Art. „Setzen Sie sich in Ihrer Kommune für eine Katzenschutzverordnung ein – dadurch streunen weniger Katzen umher“, heißt es von dort.
Experten wie Dominic Hahn vom BUND Landesverband befürchten zudem eine Bedrohung der streng geschützten Wildkatzen. Denn wenn Freigängerkatzen sich mit ihnen paaren, entstehen sogenannte hybride Arten, also Mischarten.
Wieviele Gemeinden sind im Südwesten bisher dabei?
Eine Katzenschutzverordnung, die meistens neben der Registrierung von Katzen auch eine Kastrationspflicht vorsieht, gilt nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in lediglich 172 von rund 1.100 Städten und Gemeinden im Südwesten. In solchen Verordnungen wird festgeschrieben, dass Freigänger-Katzen, die einen Besitzer haben, gekennzeichnet und zumeist auch kastriert werden müssen. Streunende Katzen dürfen auf dieser Grundlage eingefangen, kastriert und registriert werden.
„Die Einführung von Katzenschutzverordnungen und einer Kastrationspflicht dient dem Tierschutz und wird seitens des Ministeriums befürwortet“, sagt ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums.
Wie wird eine Katzenschutzverordnung in der Praxis umgesetzt?
„Freilebende Katzen werden von ehrenamtlichen Beauftragten der Stadt Pforzheim eingefangen und in einer umliegenden Tierarztpraxis kastriert“, sagt etwa die dortige Stadtsprecherin. Anschließend würden sie mittels Mikrochip oder Ohrtätowierung dauerhaft gekennzeichnet und bei den Haustierregistern der Tierschutzorganisation Tasso registriert. In Pforzheim und auch in Rottweil gibt es seit April eine Kastrationspflicht, weil zuvor diverse Hotspots ausgemacht worden waren, an denen freilebende Katzen sich aufhielten und vermehrten.
In Mannheim gilt eine ähnliche Verordnung seit 2023 – erst nur mit Registrierungspflicht, seit Frühjahr 2024 mit Kastrationspflicht. Kennzeichnung der Katzen und Appelle zur Kastration hätten nicht ausgereicht, um die Populationen einzudämmen, sagt eine Stadtsprecherin. Eine aufgefundene Katze wird seither gekennzeichnet, registriert und kastriert, wenn der Halter nicht binnen 48 Stunden ermittelt werden kann. Auch Rottweil verfährt so.
In Stuttgart bereitet die Stadtverwaltung gerade einen Vorschlag zur Einführung einer Kastrationspflicht für Katzen vor. Anfang 2026 werde mit einer Entscheidung gerechnet, so eine Stadtsprecherin.
Warum gibt es solche Verordnungen nicht flächendeckend?
Das geltende Tierschutzgesetz sehe ein „abgestuftes Vorgehen auf Grundlage der jeweiligen Situation vor“, erläutert ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums. Ob eine Kommune diese Verordnung einführen will, müsse vor Ort lokal geprüft werden. Katzenpopulationen und die Feststellung sogenannter „Katzen-Hotspots“ könnten nur lokal sinnvoll ermittelt werden.
„Unsinn“, sagt Große-Kleffmann. Das Tierschutzgesetz sei völlig überholt und müsse überarbeitet werden. Der BUND Baden-Württemberg nennt es zudem eine politische Entscheidung im Südwesten, Katzenschutzverordnungen an die Gemeinden zu delegieren. Es wäre durchaus möglich, eine landesweite Verordnung zu erlassen – in Schleswig-Holstein sei dies schon der Fall, sagt Wildkatzen-Experte Hahn.
Der Deutsche Tierschutzbund fordert längst seit Jahren eine bundesweite Kastrationspflicht, flächendeckend und verbindlich; ebenso die Tierrechtsorganisation Peta sowie Tasso. „Die aktuelle Situation, in der nur einzelne Kommunen aktiv werden, schafft Flickenteppiche“, sagt eine Tasso-Sprecherin. Außerdem wanderten Katzen aus Gebieten ohne Verordnung natürlich auch in geschützte Zonen ein, was wiederum die Bemühungen vor Ort unterlaufe.
Das Thema aber nehme im Südwesten Fahrt auf, sagt BUND-Experte Hahn. „Wir stellen fest, dass immer mehr Kommunen das Thema angehen.“ Im Schwarzwald-Baar-Kreis habe jede einzelne Kommune nun eine Katzenschutzverordnung.