„Dirndlgate“: Was die deutsche Politik von Dorothee Bär lernen kann

Forschungsministerin Dorothee Bär sorgt mit ihrem Dirndl für Aufsehen. Skandalös? Keineswegs, findet unsere Autorin. Warum der Politik mehr Modemut gut stehen würde. Eine Stilkritik.

Als mir Dorothee Bär im Februar 2018 zum ersten Mal bei Instagram auffiel, hatte sie ein Foto von sich und Julia Klöckner gepostet. Es zeigte sie als Blusenfreundinnen. Untergehakt strahlten sie im exakt gleichen weißen Oberteil mit flatternden Schluppenbändern in die Kamera. „Man sieht: zwischen CDU und CSU passt kein Blatt Papier“, sinnierte Bär unter dem Post, der am Rande der Koalitionsverhandlungen entstand. Monate zuvor war die Jamaika-Regierung gescheitert, man wartete darauf, dass sich CDU, CSU und SPD auf einen neuen Fahrplan für Deutschland einigten. Ein Modebildchen aus dem Bundestag? Das kam mir fehl am Platz vor. 

Dorothee Bär: Mode als politisches Kalkül

Heute, sieben Jahre später, denke ich anders über den Post. Ich bin kein Fan von Bärs Politik, aber von ihrem Modemut. Mit Kleidung aufzufallen, mag lange als unseriös gegolten haben, als oberflächlich und belanglos. Schließlich machten Politikerinnen wie Angela Merkel einst vor, wie man sich als Frau unter mächtigen Männern behauptete: Statt die feminine Seite zu unterstreichen, schlüpften sie in Hosenanzüge, die Uniform von Politikern. 

Bär hingegen sucht erst gar nicht den Schulterschluss, sondern das eigene Scheinwerferlicht. Anders als ihre Vorgängerinnen nutzt sie das Frausein, um herauszustechen. Und wie könnte es ihr besser gelingen als mit Mode?

High Heels, kurze Röcke, Leomuster und ihre Lieblingsfarbe Pink: Bär lässt im Bundestag keinen Trend aus. Ihr ungewöhnlichster Auftritt? Den legte die damalige Digitalministerin 2019 bei der Gala zum Deutschen Computerspielpreis hin, als sie in einem Lederkleid im Bondage-Look auftauchte. Entworfen hatte es Marina Hoermanseder, eine in Berlin lebende Designerin aus Wien. Der Aufschrei kam prompt. „Vollkommen unmöglich“ urteilte damals der „Spiegel“ – und doch gab es tagelang kein anderes Gesprächsthema. 

So auch vor einigen Tagen, als Bär im rosafarbenen Dirndl zur Kabinettssitzung erschien. Zwar trug sie dazu eine geblümte Trachtenbluse, doch war diese transparent und so tief dekolletiert, dass manch einer ihrer Kollegen vergessen haben dürfte, worum es in der Ministerrunde eigentlich ging. Ihr Büro war zwar später bemüht zu erklären, dass Bär die Tracht nur getragen habe, weil im Anschluss ein Oktoberfest in ihrem Ministerium stattfand, doch da war ihr Ausschnitt schon deutschlandweit ein Thema. 

War ihr „Dirndlgate“ nur Zufall? Ganz bestimmt nicht. Schließlich dürfte auch Doro Bär einen Spiegel und genügend PR-Berater haben, die wissen: Jedes Detail sticht ins Auge. Für den Berliner Politikbetrieb hatte es nach der Sommerpause zumindest etwas Gutes: Alle waren wieder wach.

Dass ein Auftritt wie der von Doro Bär dennoch so hohe Wellen schlägt, zeigt, dass wir Deutschen noch immer eine protestantisch geprägte Auffassung von Mode haben. Bloß nicht auffallen? In vielen anderen Ländern gehört Mode längst zum politischen Alltag. Sie ist – streng genommen wie früher Reichsapfel und Zepter – eine Insignie der Macht. Wie selbstverständlich trägt Italiens Premierministerin Giorgia Meloni deshalb die Designermode ihres Landes, das gleiche Bild in Frankreich. Brigitte Macron ohne 11-cm-Heels und Minirock von Louis Vuitton oder Dior? Undenkbar. Wie man Mode politisch instrumentalisiert, wird jedoch nirgendwo so extrem umgesetzt wie in den USA. Nicht ohne Grund tragen dort fast alle Republikanerinnen den MAGA-Look: enge Kostüme, High Heels, dazu die Barbie-Mähne. 

Dorothee Bär: Sichtbarkeit für deutsche Modemarken

Von einer solchen Kostümierung ist Doro Bär natürlich weit entfernt. Man muss ihren Stil nicht mögen, doch Modemut kann man ihr nicht absprechen. Dass sie ihr Scheinwerferlicht hin und wieder auch teilt, habe ich vor einigen Jahren erlebt, als sie deutsche Designer und die Presse während der Berliner Modewoche ins Bundeskanzleramt einlud. Damals sorgte sie für unangemeldeten Besuch: Angela Merkel. Die damalige Kanzlerin entschuldigte sich für ihr fehlendes Sachwissen, hörte aber dennoch den Vertretern einer Branche zu, die in Deutschland fast nie Gehör findet: der Mode.

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