Verkehrspolitik: Abschied von Tempo 30 – wegen sauberer Luft

Der Berliner Senat will Tempo 30 an vielen Hauptstraßen abschaffen. Was das für Luft, Lärm und Verkehrssicherheit bedeutet – und warum die Entscheidung umstritten ist.

Der Berliner Senat will auf seiner Sitzung heute (Pk 13.00 Uhr) neue Pläne für Luftreinhaltung und Lärmschutz beschließen – und damit voraussichtlich bestimmte Tempo-30-Zonen an Hauptverkehrsstraßen wieder zugunsten von Tempo 50 abschaffen. Fragen und Antworten dazu. 

Worum geht es?

Um die Luftqualität zu verbessern und den Ausstoß von Schadstoffen wie Stickstoffdioxid gemäß EU-Vorgaben zu reduzieren, hatte der Senat neben temporären Dieselfahrverboten vor einigen Jahren an 41 Hauptstraßen in verschiedensten Bezirken Tempo 30-Abschnitte angeordnet. Inzwischen ist die Luft an vielen Stellen besser geworden, so dass die sogenannte Luftreinhaltung dort laut Senat nicht mehr als Begründung für Tempo 30 herhalten kann. 

Kommt nun überall wieder Tempo 50? 

Nein. Das ist bei bis zu 25 der 41 Straßenabschnitte der Fall. An weiteren sieben der betreffenden Straßen sind die Schadstoffwerte weiterhin so hoch, dass das Tempolimit bestehen bleibt. Bei neun weiteren bleibt es aus Verkehrssicherheitsgründen bei Tempo 30 – etwa vor Kitas oder Altenheimen.

Gibt es keine andere Möglichkeit, Tempo 30 beizubehalten oder neu anzuordnen?

Doch, die gibt es. Verkehrs- und Umweltsenatorin Ute Bonde (CDU) hat an den fraglichen 25 Straßenabschnitten nach eigenen Worten prüfen lassen, ob dort sogenannte hochfrequentierte Schulwege entlangführen. In dem Fall könnte auch dort aus Gründen der Verkehrssicherheit Tempo 30 angeordnet werden. Ob und wo eventuell das Tempolimit mit dieser neuen Begründung erhalten bleibt, ließ die Senatorin bisher offen. Dem Vernehmen nach soll das aber nur an zwei der 25 in Rede stehenden Straßen der Fall sein. 

Was ist noch geplant? 

Auf etlichen Hauptverkehrsstraßen will der Senat nachts laut Bonde Tempo 30 anordnen – und zwar zwischen 22.00 bis 6.00 Uhr. „Wir wollen das aus Gründen des Lärmschutzes und damit des Gesundheitsschutzes machen“, sagte sie kürzlich. Das betrifft Straßen mit einer Gesamtlänge von 230 Kilometern.

Warum ist die Rücknahme von Tempo 30 umstritten?

Kritiker aus den Reihen der Grünen oder des Koalitionspartners SPD argumentieren vor allem mit der Verkehrssicherheit. Sie befürchten, dass dann wieder mehr und auch folgenreichere Unfälle mit Verletzten und Toten passieren könnten. Das sieht auch Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe so. „Mit Tempo 50 wird die Luft wieder schlechter, der Autolärm schlimmer und der Straßenverkehr unsicherer“, sagte Resch. „Verkehrssenatorin Bonde will Berlin in die Vergangenheit zurückkatapultieren und die autogerechte Stadt zementieren.“

Was sagt Senatorin Bonde dazu?

Sie hält der Kritik entgegen, dass in Ortschaften laut Straßenverkehrsordnung (StVO) Tempo 50 Regelgeschwindigkeit sei. Für die Anordnung von Tempo 30-Abschnitten sei jeweils eine konkrete Begründung nötig. Das könnten etwa eine Häufung von Unfällen, konkrete Gefahren für Kinder oder Senioren, schlechte Luft sein. Seit kurzem erlaube die StVO auch ein Tempolimit bei hochfrequentierten Schulwegen.

Passieren bei Tempo 30 wirklich weniger Unfälle, die gleichzeitig weniger folgenreich sind? 

Die Höchstgeschwindigkeit sei nur ein Faktor für mehr Sicherheit neben Infrastruktur, Fahrzeugtechnik und dem Verhalten aller Verkehrsteilnehmenden, sagt die Leiterin der Unfallforschung der Versicherer (UDV), Kirstin Zeidler. „Dort, wo langsamer gefahren wird, können Unfälle glimpflicher ausgehen.“ Bekannt sei aber auch, dass sehr viele und auch schwere Unfälle bei niedrigen Geschwindigkeiten passieren. Das betreffe etwa Radfahrer beim Abbiegen an Kreuzungen oder Fußgänger, die beim Rangieren, Ein- oder Ausparken von Fahrzeugen erfasst werden. „Entscheidend ist, das Tempo gezielt dort zu reduzieren, wo es tatsächlich die Sicherheit erhöht.“ Auf vielen Berliner Straßen und an Unfallschwerpunkten gelte daher bereits Tempo 30 oder weniger.

Hat Berlin viele Tempo-30-Zonen?

Laut einer Übersicht der Senatsverkehrsverwaltung gilt momentan auf 389 von 1.707 Kilometern Hauptstraßen in Berlin (ohne Autobahn) Tempo 30 statt Tempo 50. Das sind knapp ein Viertel (23 Prozent). Bei den Nebenstraßen betrifft das 3.661 von 4.975 Kilometern, also knapp drei Viertel (74 Prozent).

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