Unternehmen mit Zukunft: Professor Rump, haben Chefs zuviel Angst vor Kontrollverlust? – „Ja, ja, ja!“

Ein wichtiger Rohstoff für Unternehmen ist die Begeisterung der Mitarbeitenden. Welche Unternehmen schaffen es, bei ihren Angestellten für Motivation zu sorgen – und wie?

Meetings, Calls und volle Kalender. Bürobeschäftigte klagen, dass sie kaum noch zu ihrer eigentlichen Arbeit kommen. Der stern hat mit Professor Jutta Rump über den Missbrauch der Idee von „New Work“ gesprochen.

Frau Rump, wann haben Sie während der Arbeit das letzte Mal aus dem Fenster geschaut und nachgedacht? 
Gerade jetzt. Ich überlege, was ich antworten soll. Und wenn ich über meinen Computer hinweg gucke, dann sehe ich die Bäume in Nachbars Garten. Schön. Prof. Dr. Jutta Rump

Der stern hat mit Ihrer Unterstützung Unternehmen dazu befragt, wie sie die Zukunft der Arbeit organisieren.Geben die Chefs ihren Mitarbeitenden heute noch genug Gelegenheit zum Nachdenken?  
Viele Beschäftigte haben das Gefühl, nur der Hamster im Rad zu sein. Umso wichtiger ist es, die Gedanken auch mal schweifen lassen zu können. Neue Arbeitsformen sollten Freiräume geben und erlauben, sich wohlzufühlen und in Balance zu bleiben. 

Das Zauberwort heißt seit einigen Jahren „New Work“. Offiziell geht es um Freiheit, Selbstverantwortung und Teilhabe. 
Das ist ein sehr gutes Konzept. Daran orientieren sich auch viele Unternehmen in der stern-Studie. Aber in der Wirtschaft gibt es einige, die picken sich ein paar Dinge heraus, die ihren Zwecken dienlich sind, und der Rest wird negiert. Das ist interessengeleiteter Missbrauch. Das verdient den Namen „New Work“ dann nicht mehr.

Bürobeschäftigte erleben heute, dass Digitalisierung im Homeoffice häufig bedeutet, dass Chefs und Kollegen den Kalender mit Meetings zupflastern. Viele fragen sich: Wann komme ich zu meiner eigentlichen Arbeit? 
Zur Wahrheit gehört, dass es diese Kultur der permanenten Besprechungen auch früher schon gab. Immerhin haben wir damals in der Kaffeeküche noch ein paar nette Worte gewechselt. Inzwischen ist die Taktung eine ganz andere. Es sind nicht nur vier Besprechungen am Tag, sondern vielleicht sechs, sieben oder acht. Was als neue Arbeitswelt verkauft wird, bedeutet nicht nur eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, sondern am Ende eine Verdichtung der Arbeit. 

Ist es „Old Work“ in neuem Gewand? 
Genau, das ist es. Ich möchte nicht verteufeln, dass es erhebliche Produktivitätsgewinne gibt. Aber der Preis ist eine Verdichtung von Prozessen. Arbeitskraft wird auf ihren Wert als Ware reduziert. Mit neuen Technologien haben wir der alten Welt zu einem Effizienzsprung verholfen. Und jetzt wundern wir uns, dass den Menschen die Puste ausgeht.  

Was können Unternehmen tun, um ihre Beschäftigten vor diesem Wahnsinn zu schützen? 
Sie müssen Freiräume geben, Dinge auch außerhalb von Meetings zu erledigen. Und es braucht Regeln. Die Zeit, in der nicht gearbeitet wird, muss akzeptiert werden. Es ist okay, abends bis acht Uhr und dann erst wieder am nächsten Morgen um neun Uhr erreichbar zu sein. Es muss klar sein, wer im Urlaub die Mails bearbeitet. Nicht alles kann liegenbleiben, aber manches schon. Wir brauchen eine gewisse Form der Mäßigung.

Die Unternehmen, die an unserer Studie teilgenommen haben, sagen zu 86 Prozent, dass sie Pausen in längeren Digitalmeetings machen – aber nur die Hälfte hat die Anzahl der Besprechungen reduziert. Reicht das? 
Nein. Pausen sind natürlich wichtig. Aber welche Meetings sind tatsächlich notwendig? Nicht die meisten, aber eine stattliche Zahl sind überflüssig. Wir verplempern zu viel Zeit darin.  

Die Covid-Pandemie hat den Durchbruch für das mobile Arbeiten gebracht. Aber viele Vorgesetzte scheinen damit nicht klarzukommen. 
Das Homeoffice wird viel zu stark strukturiert, frei nach dem Motto: Dann weiß ich wenigstens, dass die Leute arbeiten. 

Ist das der Preis, den Beschäftigte zahlen müssen, wenn ihnen Homeoffice wichtig ist?  
Ja, das ist eine Art Deal. Das Unternehmen gibt mir als Beschäftigtem die Möglichkeit einer Individualisierung von Ort und Zeit. Im Gegenzug räume ich dem Arbeitgeber eine Flexibilität bei der Nutzung meiner Ressourcen ein. 

97 Prozent der Unternehmen, die an unserer Studie teilgenommen haben, bieten Homeoffice an. Gleichzeitig rufen viele Chefs nach mehr Präsenz.  
Es braucht einen Kompromiss. Die Arbeitgeber würden am liebsten nur 1,2 Tage Freiheit genehmigen, die Mitarbeitenden wünschen sich 1,8 Tage in der Woche. Nach meiner Beobachtung sind in vielen Unternehmen inzwischen drei Tage in Präsenz und zwei in Flexibilität üblich. Das wird niemand zurückdrehen können.

81 Prozent der Studienteilnehmer nennen persönlichen Austausch als Grund für Präsenz, 56 Prozent die Bindung zum Unternehmen.  
Es gibt durchaus die Gefahr einer Söldnermentalität. Da ist es schon gut, dass die Unternehmen etwas für Zusammenhalt und Betriebsklima zu tun.  

16 Prozent sagen, dass Innovation nur in Präsenz funktioniere.  
Manche Vorstände nutzen diese Behauptung gern als Totschlagargument, aber empirisch lässt sich das nicht nachweisen. Die anderen 84 Prozent dürften recht haben. Man muss es eben nur gut organisieren. 

Die Unternehmen reduzieren aus Kostengründen ihre Büroflächen und setzen auf geteilte, flexibel zu buchende Arbeitsplätze. Funktioniert das Konzept? 
Wenn von zwei Kollegen der eine hinten im Flur sitzt, der andere ganz vorne – wie entsetzlich ist das denn? Die sind zwar da, aber sind sich nicht nah. Da besteht die Gefahr der Vereinsamung im Büro. Für Kreativität braucht es neue Raumkonzepte, nicht einfach Desk-Sharing. Es reicht nicht, die Quadratmeterzahl zu reduzieren, ein paar Wände rauszureißen und einen Obstkorb hinzustellen.  

Haben die Chefs zu viel Angst vor dem Kontrollverlust? 
Ja. Ja. Ja.

Und ist die Angst berechtigt? 
Meine Erfahrung als Personalerin ist: Wenn man die Leute machen lässt, sie nach ihren Talenten einsetzt und ihnen Verantwortung gibt, dann laufen sie auch. Vorgesetzte sollen den Rücken freihalten, Partner für die Reflektion sein und auch mal einspringen, wenn es brennt. Aber es ist nicht Aufgabe, alles zu kontrollieren oder besser zu machen.  

Wer sagt den Chefs, dass es so nicht weitergeht? Die Personalabteilung? 
Die haben nicht das Standing, einen derartigen Kulturwechsel in der Führung durchzusetzen. Dafür sind die Beharrungskräfte viel groß. Wir reden hier über Macht, Geld und Privilegien. 

Wer muss es dann sagen? 
Der Chef des Chefs oder Eigentümer. Das funktioniert nicht mit einer Partisanenstrategie, sondern muss von oben kommen und auch vorgelebt werden.  

Zum Schluss des Interviews die Frage: Hat das Konzept Feierabend noch Zukunft? 
Ich glaube schon. Wir wollen für unsere Arbeit brennen, aber nicht ausbrennen. Das ist doch wie im Sport. Ich trainiere, bin bereit, die sprichwörtliche Meile mehr zu gehen, aber dann brauche ich auch Phasen, in denen ich meine Kräfte wieder sammeln kann. Ob das nun der Feierabend, der Feiermittag oder ein Feiertag ist. Es geht um Arbeitspausen.

Sportlern zeigt die Fitnessuhr an, wann sie übertrainiert sind und einen Ruhetag nötig haben. Ein Vorbild? 
Ja, vielleicht brauchen wir so eine Uhr auch für die Arbeit.   

Der stern hat zahlreichen Unternehmen auf den Zahn gefühlt

Hier finden Sie die Listen der ausgezeichneten Unternehmen: 

Tabelle groß

Tabelle mittel

Tabelle klein

Wie wurden die Unternehmen ermittelt?

Die Untersuchung

Die Studie wurde von der Redaktion in Zusammenarbeit mit einem Beirat und Spezialisten der Personalmarketingagentur Embrace konzipiert. Im Fokus standen die Unternehmen selbst, nicht ihre Produkte oder Dienstleistungen. Angesichts des sich wandelnden Wirtschaftsklimas, der zunehmenden Digitalisierung und des Fachkräftemangels gewinnt die Gestaltung der Arbeitsumgebung für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen an besonderer Bedeutung. Daher lag in diesem Jahr der Schwerpunkt der Studie auf diesem Aspekt. Als Beraterin fungierte Professorin Jutta Rump von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE.

Über den stern, Newsletter und durch den Versand mehrerer Tausend E-Mails wurden Unternehmen zur Teilnahme aufgerufen. Insgesamt haben 243 Unternehmen online etwa 90 Fragen beantwortet. Dabei wurden sowohl Fakten erhoben als auch Selbstbewertungen berücksichtigt. Teilnahmeberechtigt waren auch Organisationen und Körperschaften, die sich selbst als Unternehmen definieren.

Die Bewertung

Die Untersuchung gliedert sich in fünf Bereiche: „Mobiles Arbeiten“, „Gestaltung der Arbeitszeit, „Strukturelle Organisation“, „Empowerment (Ermächtigung der Mitarbeitenden)“ sowie „Digitalisierung & Innovation“. Alle Gebiete wurden gleich gewichtet. Das Bewertungsschema war den Teilnehmern unbekannt. Die Ergebnisse wurden für jede Dimension auf eine Skala von ein bis fünf Punkten umgerechnet. Der Durchschnitt ergibt die Gesamtbewertung:

bis 1,4 Punkte

1,5 bis 2,4 Punkte

2,5 bis 3,4 Punkte

3,5 bis 4,4 Punkte

ab 4,5 Punkte

Veröffentlicht werden 168 Unternehmen, die vier oder fünf Sterne erreicht haben, unterteilt nach der Größenklasse (bis 500 Beschäftigte, zwischen 500 und 2500 Beschäftige, mehr als 2500 Beschäftigte).

Die Transparenz

Der stern arbeitet nur mit Studienpartnern von hoher Expertise. Das bringt es mit sich, dass auch Unternehmen diese Experten beauftragen. Die Neutralität der Datenerhebung und -analyse ist aber gewährleistet. Über Fragebogen und Bewertungsschema hat die Redaktion entschieden. Die Ausgezeichneten haben die Möglichkeit, für ihre Außendarstellung ein Siegel zu erwerben. Informationen zu den Bedingungen finden Sie hier.

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