Obdachlos bei 30 Grad: Hitzekollaps beim „Platte machen“ – Obdachlose im Hochsommer

Viel trinken und im Schatten bleiben – das sind gute Ratschläge im Hochsommer. Doch was tun Obdachlose, die ohne Rückzugschance auf der Straße leben? Für sie kann die Hitze lebensgefährlich werden.

„Im Sommer suchst Du überall nach Schatten, legst Dir ein nasses Handtuch auf den Kopf und holst Dir Wasser auf öffentlichen Klos“, erzählt Pino. „Trotzdem kriegst Du von der Hitze heftige Kopfschmerzen und bist oft klatschnass geschwitzt.“

Der 42-jährige Düsseldorfer hat 17 Jahre auf der Straße, beim „Platte machen“ überlebt – und er hat die Hitze im Sommer fürchten gelernt. Vier Flaschen Wodka pro Tag plus Crack waren bis vor rund einem Jahr seine Tagesration. „So viel Alkohol und dann bei 30 Grad draußen – klar bin ich da öfter mal zusammengeklappt oder in der Sonne eingepennt“, erzählt er. 

Lebensgefahr in der prallen Sonne

Wenn Menschen wie er ungeschützt in der prallen Hitze liegen, herrscht schnell Gesundheits- oder sogar Lebensgefahr, warnen Experten wie die Vorständin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Andrea Büngeler. „Mangelnde Hygiene beim Leben auf der Straße in Kombination mit Hitze und Dehydration kann schnell zu einer lebensbedrohenden Sepsis führen“, sagt Büngeler.

„Die Leute überhitzen“, erzählt Sozialarbeiter Oliver Ongaro, der eine Beratungsstelle der Initiative FiftyFifty in Düsseldorf leitet und Pino lange unterstützt hat. Viele Obdachlose haben vom Schlafen auf der Straße und vom Drogenkonsum Durchblutungsprobleme und kleine Wunden vor allem an den Beinen und Füßen. „In der Hitze entzündet sich das, dann können sich Maden in den Wunden bilden“, sagt Ongaro. 

„Die Beine komplett offen“

„Bei mir waren die Beine komplett offen“, erzählt Pino. „Ich hatte Verbände drum, das juckt so in der Wärme.“ Noch ein Jahr später sieht man die großen dunklen Flecken an den Unterschenkeln.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat für das laufende Jahr erneut 250.000 Euro für den Hitzeschutz von obdach- und wohnungslosen Menschen bereitgestellt. Das Geld geht an Freie Träger und Initiativen, die davon dünne Sommerschlafsäcke, Trinkflaschen, Sonnencreme und Sonnensegel zum Verschatten kaufen. 

Oft verdrängt statt unterstützt

Als akute Nothilfe seien diese Sommerhilfen sicher gut, sagt Büngeler. Doch wichtiger sei die Grundhaltung in manchen Kommunen: „Wohnungslose werden von zentralen Plätzen verdrängt, ohne Alternativen zu eröffnen. Statt über Dinge wie Sonnensegel zumindest akute Nothilfe zu bieten, passiert teils das Gegenteil wie etwa die Errichtung von Sperren an Bänken in geschützter Lage.“ 

Um wirklich zu helfen, müssten die Leute schnell von der Straße – mit Konzepten wie „Housing first“ für einen schnellen Einzug in eine eigene Wohnung ohne vorherige Anforderungen wie Drogen-Verzicht und Qualifizierungsstufen, fordert Büngeler. Doch das ist schon wegen des Mangels an bezahlbaren Wohnungen und der leeren Kommunalkassen ein Langzeitprojekt.

Ein Modellprojekt zur sofortigen Linderung der Not bietet das im vergangenen Herbst gestartete Angebot „Jot drop“ in Düsseldorf. Obdach- und Wohnungslose können mitten in der Altstadt nahe der Kabarett-Bühne „Kommödchen“ duschen – im Winter warm, jetzt erfrischend kühl. Sie haben hinter der geschlossenen Tür des Duschmobils eine Viertelstunde nur für sich und ihr Wohlbefinden. „Hier können sie sich erfrischen und Ruhe tanken“, sagt Projektleiter Lars Kollender.

Manche singen sogar dabei, wie Stephan Kläsener vom Träger des Angebots Flingern Mobil erzählt. „Die Leute strahlen, wenn sie rauskommen, es sind auch schon Tränen geflossen.“

Gespendete Holz-Zahnbürsten für Obdachlose

Im Bus am Duschmobil gibt es Wasser und Kaffee, frische Kleidung und Unterwäsche, Hygienesets, Kühltücher und Sonnencreme – vielfach auf Spendenbasis. Ein Düsseldorfer Luxus-Hotel hat teure Holz-Zahnbürsten und Rasiersets bereitgestellt. Pflegefachkraft Patrick versorgt kleinere Verletzungen wie einen Wespenstich oder Platzwunden, desinfiziert und fragt nach Verletzungen, die womöglich eine weitergehende ärztliche Behandlung erfordern. 

Viele Kommunen besuchten das Angebot derzeit, um sich zu informieren, sagt Kollender. „Jot drop“ plane ein zweites Dusch-Mobil und hoffe auf Spenden. Der Bedarf ist groß. Allein in Düsseldorf waren Mitte 2023 laut dem jüngsten Fachbericht des Sozialministeriums 4.525 Menschen wohnungslos – knapp 900 mehr als ein Jahr zuvor, berichtet die Initiative. Rund 700 gelten als obdachlos, leben tatsächlich auf der Straße.

Pino ist jetzt clean – es war „ganz schön knapp“

Nicht immer geht das so gut aus wie bei Pino von FiftyFifty, der jetzt in einer eigenen Wohnung lebt, komplett clean ist und eine Ausbildung als Restaurant-Fachkraft macht. „Er hat so gerade noch mal die Kurve gekriegt“, sagt Sozialarbeiter Ongaro, „es war ganz schön knapp“. Obdachlose mit hartem Drogen- und Alkoholkonsum stürben meist mit Ende 40, sagt er. „Leute über 50 siehst Du nur, wenn sie lange in Haft waren.“

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