Interview mit Dirk Wiese: SPD-Fraktionsmanager beharrt auf Reform der Einkommenssteuer

Läuft für Schwarz-Rot? SPD-Fraktionsmanager Dirk Wiese über den durchwachsenen Koalitionsstart, wo seine Partei hartnäckig bleiben will und Grillen als Teambuilding-Maßnahme.

Herr Wiese, auf einer Skala von „Vollkatastrophe“ bis „voll super“ – wo liegt Schwarz-Rot gerade?
Wenn „Vollkatastrophe“ eine 1 ist und „voll super“ eine 10, dann würde ich mit Blick auf die ersten 100 Tage sagen: eine 7. 

Ernsthaft? Die Ampel muss Sie milde gemacht haben…
Nein, wir haben in den ersten 100 Tagen viel auf den Weg gebracht, etwa das Infrastruktur-Sondervermögen, Entlastungen für die Wirtschaft, den ersten Teil des Rentenpakets. Weitaus geräuschloser als zu Ampel-Zeiten. Aber klar: Vor allem die nicht zustanden gekommene Richterwahl für Karlsruhe hat vieles davon überlagert.

Schwarz-Rot hat auch schon eine ganze Reihe an Konflikten ausgetragen, zumeist öffentlich. Was sagt das über den Geist der Koalition?
Wir sind unterschiedliche Parteien. Dass Union und SPD auch mal die jeweils reine Lehre vertreten, bedeutet nicht sofort Streit. Da rate ich zu mehr Gelassenheit. 

Mit Verlaub, der wochenlange Streit um die Richterposten hat die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf sogar zum Rückzug veranlasst. Bisschen peinlich, oder?
Zweifelsohne. Leider hat die Stimmungsmache rechter Nachrichtenportale in der Unionsfraktion verfangen. Das hat die Koalition schwer belastet und viel Vertrauen gekostet. Wir werden nun eine neue Kandidatin präsentieren und ich erwarte, dass die Kollegen diesmal zu ihren Zusagen stehen.

SPD-Fraktionsmanager Wiese unterstützt Waffen-Teilstopp für Israel

Sollte sich die Union bei der SPD entschuldigen? 
Es geht nicht darum, dass irgendjemand zu Kreuze kriechen muss. CDU, CSU und SPD wurden als politisch einzig mögliche Koalition gewählt, um das Land wieder ruhiger und vernünftiger zu regieren. Das muss unser Anspruch sein. Nur so dämmen wir auch die rechtsextremistische AfD ein, die weder im deutschen noch im europäischen Interesse handelt. Die Pläne der sogenannten Alternative für Deutschland bedeuten vor allem Arbeitslosigkeit für Deutschland. Das müssen wir verhindern.

Erst zeigten sich CDU und CSU bei der Stromsteuersenkung uneins, dann bei der Richterwahl, nun auch beim Waffen-Teilstopp für Israel. Wird die Union zum Risikofaktor in der Regierung?
Bei der Stromsteuer habe ich mich schon über die Querschüsse aus der Union insbesondere aus den Ländern gewundert, zumal das eine gemeinsame Entscheidung war. Außerdem ist die Steuersenkung für alle, also auch für private Haushalte, nicht vom Tisch. Zum Waffen-Teilstopp für Israel: Die Entscheidung des Kanzlers ist vollkommen richtig.  

Wieso?
Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson und gilt. Das bedeutet jedoch nicht uneingeschränkte Solidarität mit einer fragwürdig handelnden Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. 

Teile der Union würden die Entscheidung am liebsten umkehren. Ihr Appell: Nicht einknicken, Kanzler?
Dass es darüber Diskussionen in der Union gibt, ist verständlich und nachvollziehbar. Aber das Handeln des Kanzlers ist sehr vertretbar. Natürlich hat Israel jedes Recht, sich gegen die Hamas zu wehren. Doch die Entscheidungen, die Netanjahu und seine Regierung derzeit treffen, gehen über jedes Maß hinaus und sind in Teilen völkerrechtswidrig. Weder führen sie zur Befreiung der letzten Geiseln noch zu einer Linderung der Hungersnot. Stattdessen wird das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza immer größer. Deutschland kann das nicht außer Acht lassen. 

Welches Gefühl hinterlässt das Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin bei Ihnen, hat sich die Diplomatie-Offensive des Kanzlers gelohnt?
Einige der Bilder vom Treffen in Anchorage fand ich befremdlich vor dem Hintergrund der fortwährenden russischen Angriffe auf die Ukraine. Ein gutes Zeichen ist, dass die Gespräche fortgeführt werden und der ukrainische Präsident am Montag in Washington eingebunden wird. Insofern haben die diplomatischen Initiativen der Bundesregierung und ihrer Partner und Verbündeten Wirkung gezeigt. Wir werden jetzt weiter, abgestimmt in EU und Nato die kommenden Gespräche eng begleiten.

„Eine Steuerreform in diesem Segment ist notwendig“

In der Koalition bahnen sich neue Konflikte an. So will die SPD etwa „Superreiche“ stärker zur Kasse bitten, die Union lehnt Steuererhöhungen bislang kategorisch ab. Wer setzt sich durch? 
Dass starke Schultern mehr zum Allgemeinwohl beitragen könnten, wird die SPD nie aus ihrer Programmatik streichen – das ist eine Gerechtigkeitsfrage, da bleiben wir uns treu und hartnäckig. Ich weiß, dass diese Diskussionen mit der Union nicht einfach sind, aber wir sollten sie führen. Insbesondere bei der Einkommenssteuerreform zur Entlastung für kleine und mittlere Einkommen sollten wir zeitnah zu Ergebnissen kommen. 

Kanzler Merz hatte diese aber als „nicht fix“ unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. 
Eine Steuerreform in diesem Segment ist notwendig und auch gegenfinanzierbar. Das würde die Facharbeiterschaft entlasten und all diejenigen, die sich zum Beispiel im Schichtbetrieb in der Chemie- oder Autoindustrie abrackern. Der Spitzensteuersatz könnte später greifen, dafür belasten wir beim Einkommenssteuertarif sehr hohe Einkommen stärker. Das stellen wir offen zur Diskussion. So macht es die Union auch bei Themen, die ihr wichtig sind. 

Wie grundlegende Reformen beim Sozialstaat zum Beispiel. Der CDU-Generalsekretär spricht mit Blick auf das Bürgergeld von einem „Herbst, der sich gewaschen hat“. Wird Ihnen angst und bange, wenn Sie das hören?
Nein. Eine Kommission wird sich jetzt grundsätzlich mit der Frage beschäftigen, wie der Sozialstaat fit für die Zukunft gemacht werden kann. Beim Bürgergeld haben wir uns schon verständigt. Wir werden zum Beispiel diejenigen härter sanktionieren, die das System ausnutzen. 

Und wo ist das große Sparpotenzial, das Ihr Koalitionspartner beim Bürgergeld sieht?  
Kürzungsdebatten helfen hier nicht weiter, da muss ich die Erwartungen dämpfen. Nur ein kleiner Teil betrügt das System. Die große Mehrheit der Bürgergeld-Empfänger würde gern mehr arbeiten und das System verlassen. Es braucht bessere Rahmenbedingungen, damit wir Bezieher raus aus dem Bürgergeld und wieder rein in den Arbeitsmarkt bekommen. Das spart dann tatsächlich Geld. 

Auch bei der Rente überlässt Schwarz-Rot lieber einer Kommission die Reformvorschläge. Die nimmt aber erst Anfang 2026 ihre Arbeit auf, eine Reform könnte sogar erst in der nächsten Legislatur kommen. Woher nehmen Sie diese Geduld?   
Wir machen jetzt schon einiges im Rentenbereich, im Herbst wird der Bundestag die ersten Gesetze verabschieden: Wir sichern das Rentenniveau ab, parallel schaffen wir mit der Aktivrente die Möglichkeit, auch im Ruhestand freiwillig weiterhin einer Beschäftigung nachzugehen. Das sind schonmal wichtige Schritte.

„Schauen wir mal, wer am Grill steht“

Wie die Rente langfristig und stabil finanzierbar bleibt, ist aber weiter unklar. Bis 2031 schießt der Bund knapp 150 Milliarden Euro zu. Können Sie sich eine „In-aller-Ruhe-Reform“ überhaupt leisten?
Schon vor fünfzehn Jahren haben wir Debatten über zu hohe Rentenzuschüsse geführt. Und schon damals haben sich die Abgesänge nicht bewahrheitet – weil mehr Leute in Beschäftigung gekommen sind, folglich mehr in die Rentenkasse eingezahlt und das System damit stabilisiert haben. Damit will ich sagen: Die gesetzliche Rente ist viel stabiler, als viele denken. Die Kommission wird Vorschläge zur langfristigen Stabilität der Rente machen, über 2031 hinaus. Und es ist ja nicht ausgeschlossen, dass wir einige ihrer Ergebnisse bereits in dieser Legislatur umsetzen.

Nochmal zur Koalition: Mitte September wollen die Fraktionen von Union und SPD gemeinsam grillen. Wird danach weniger geampelt?
Das Grillfest ist schon länger geplant. Außerdem ist es doch gut, sich auch mal abseits förmlicher Sitzungen zu treffen und auszutauschen. 

Wem empfehlen Sie, eine versöhnliche Bratwurst aufs Grillgitter zu legen, damit die Operation Teambuilding glückt?
Schauen wir mal, wer am Grill steht. Man kann auch mal heftig streiten und unterschiedlicher Meinung sein – am Ende des Tages sollte man aber immer noch ein Bier an der Theke trinken können. Das gilt auch für Koalitionspartner.

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