Zeitreise: Nostalgie pur: Hessen feiern Lebensgefühl der 50er Jahre

Vom Elvis-Festival bis zum 50er-Jahre-Museum: Viele Menschen sehen die Vergangenheit als besondere Zeit. Warum das Gefühl von früher so anziehend ist und was Experten dazu sagen.

Petticoats, Elvistollen, Cadillacs und Rock’n’Roll: In Hessen leben die 1950er Jahre wieder auf. Bei gleich zwei großen Festivals und in einem charmanten Museum können sich die Hessen in die Wirtschaftswunderjahre zurückversetzen lassen.

„Einfach eine gute Zeit“ ist das Motto der „Golden Oldies“, die an diesem Wochenende in Wettenberg (Kreis Gießen) gefeiert werden. Jahr für Jahr zieht es Zehntausende Menschen aller Altersgruppen zu dem Oldie-Festival, bei dem Musik, Mode, Autos und Lebensgefühl nicht nur der 1950er, sondern auch der 60er, 70er und 80er Jahre im Mittelpunkt stehen.

Ganz im Zeichen des Kings of Rock’n’Roll steht das European Elvis Festival in Bad Nauheim (Wetteraukreis) vom 15. bis 17. August. Seit 2002 findet das Kulturfestival jährlich um den Todestag von Elvis, dem 16. August, an drei aufeinanderfolgenden Tagen statt. 

Und warum ausgerechnet Bad Nauheim? Der legendäre Star war in seiner US-Militärdienstzeit von 1958 bis 1960 im nahen Friedberg stationiert, lebte aber in einer Privatunterkunft in der Kurstadt. Seit über 20 Jahren kommen Fans aus aller Welt zu dem Festival, bei dem neben Live-Konzerten auch Modenschauen und eine Oldtimer-Parade geboten werden.

Besucher mit Klamotten im Stil der 50er, 60er und 70er

Das Erfolgsrezept der „Golden Oldies“ in Wettenberg ist nach Ansicht von Alexander Bath, einem der Organisatoren des mehrtägigen Festivals, die Kombination aus Livemusik auf acht Bühnen, hunderten Oldtimer-Fahrzeugen und dem „spürbaren Charme der vergangenen Jahre“ auf den Straßen. Dazu trage bei, dass viele Besucher im Stil der 50er, 60er oder 70er Jahre gekleidet zu dem Festival kommen. „Das macht einen riesigen Reiz aus“, sagt Bath.

Besonders freuten sich Besucher, wenn sie ein Auto sehen, das sie früher einmal gefahren haben, berichtet Bath. „Weißt Du noch?“, sei ein immer wieder gehörter Kommentar.

„Flucht aus der Gegenwart, aber ein harmloses Vergnügen“

Dass die „Golden Oldies“ in Mittelhessen jetzt im 34. Jahr die Massen anlocken, hat viel mit Nostalgie zu tun. Es sei bei Besucherinnen und Besuchern oft eine gewisse Sehnsucht nach vergangenen Jahrzehnten zu spüren, als vermeintlich vieles einfacher gewesen sei, erklärt der Festivalorganisator.

Der Bau der Berliner Mauer und der Kalte Krieg beispielsweise hätten sicherlich damals die Menschen belastet, doch sie hätten sich damit arrangiert. „Die Leute denken zumindest, dass es früher einfacher war.“ Heutzutage würden – vielleicht bedingt durch Internet und soziale Medien – Störungen stärker wahrgenommen.

Der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner bestätigt diese Einschätzung. „Nostalgie hat mit einer besonders positiven Einschätzung der Vergangenheit zu tun. Es ist eine gewisse Flucht aus der Gegenwart, aber ein harmloses Vergnügen.“

Menschen machen „Erinnerungsfehler“

Rückblickend würden negative Dinge häufig vergessen, wenn sie nicht besonders herausragend waren, erklärt der Wissenschaftler. „Positive Dinge behalten wir dagegen besser in Erinnerung. Man spricht dabei auch von einem Erinnerungsfehler, den Menschen machen, weil wir eben die negativen Dinge eher verdrängen.“ Damit erscheine die Vergangenheit positiver, als sie in Wahrheit gewesen sei. „Wenn wir die Zeit zurückspulen könnten, dann würden wir das anders erleben“, sagt Wagner.

Wunsch nach Identifikation

Eine wichtige Rolle spiele in diesem Zusammenhang auch der Wunsch vieler Menschen, sich mit bestimmten Dingen in der Vergangenheit identifizieren zu wollen. „Beim Elvis-Festival in Bad Nauheim ist es eben dieser Künstler, dem sie sich besonders nahe fühlen“, erklärt der Psychologe. „Man ist Teil einer Gruppe, und auch das ist ein Identifikationselement hat bei solchen nostalgischen Festen.“

Nach dem Krieg Aufbruch ins private Glück

Außerhalb von Festivals hält das 50er-Jahre-Museum in Büdingen (Wetteraukreis) die Erinnerung an die damalige Zeit wach. In der charmanten Dauerausstellung ist das Lebensgefühl der Wirtschaftswunderjahre zu spüren: Rock ’n’ Roll, Petticoat und der Aufbruch ins kleine, private Glück nach dem Zweiten Weltkrieg.

„Das kenne ich noch“ oder „Das hat meine Oma auch gehabt“ seien die häufigsten Kommentare von Besucherinnen und Besuchern, berichtet Elvira Petri, die gemeinsam mit anderen Mitgliedern des gemeinnützigen Museumsvereins Führungen durch die Ausstellungen anbietet. Grundstock für das Museum in der Altstadt ist eine private Sammlung. Heute ist das Haus laut Petri „das größte und schönste 50er-Jahre-Museum in Deutschland“.

Original-Kinderzimmer von Teenageridol Connie Froboess

Wie sah damals eine Küche aus? Was stand in der „guten Stube“? Gab es schon Hightech-Plattenspieler? Beim Gang durch die liebevoll ausgestatteten Räume werden viele Fragen beantwortet. Zu den Highlights gehören sicherlich auch das Original-Kinderzimmer von Connie Froboess. Die Schauspielerin und Schlagersängerin („Pack die Badehose ein“) war in den 50er Jahren ein Teenageridol.

Froboess stellte dem Museum ihre Kindermöbel zur Verfügung. Sie ist Ehrenmitglied im Museumsverein. Auch der US-Sänger Bill Ramsay („Souvenirs, Souvenirs“) und der Schweizer Bandleader Hazy Osterwald („Kriminaltango“) schenkten dem Museum persönliche Gegenstände und waren dem Haus bis zu ihrem Tod eng verbunden.

Bei aller Nostalgie stehe aber auch fest, dass die 50er Jahre keine heile Welt gewesen seien, beispielsweise was die Rolle der Frau betreffe, betont Museumsführerin Petri. Das mache sie bei den Führungen auch klar.

„Früher war nicht alles besser“

Die Besucher seien zwischen 20 und 80 Jahre alt, berichtet Petri. Auch Schulklassen seien sehr interessiert an den Aufbaujahren der Bundesrepublik und fänden diese Zeit toll. „Viele verbinden die 50er Jahre mit Rock’n’Roll, Boogie-Woogie und Petticoats“, sagt sie. Das werde als heile Welt empfunden. „Ich versuche aber den Besuchergruppen zu vermitteln: Es war manches schön und toll. Aber es war nicht alles gut. Früher war nicht alles besser.“

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