morgen|stern: Donald Trump hat Angst – die Lage am Morgen

Donald Trump denkt auf einmal nach, bevor er spricht. Wer reich ist, hat mehr vom Tag. Ein unangenehmes, aber nötiges Innehalten. Und was sonst heute noch wichtig wird. 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wie handhaben Sie schwere Entscheidungen? Sind Sie Typ Bauchgefühl oder eher Analytiker? Dass Donald Trump in Kategorie 1 fällt, ist vermutlich eine der flachsten Thesen der vergangenen morgen|sterne. Wenn der US-Präsident bisher rationale Entscheidungen traf, kaschierte er es jedenfalls außerordentlich gut. 

Umso erstaunlicher ist, dass Captain Hüftschuss über die Frage, ob die USA an der Seite Israels in den Krieg gegen den Iran eintreten, noch bis zu 13-mal schlafen will. Wenn Trump in die seltene Verlegenheit kommt, wirklich nachdenken zu müssen, dauert das eben. Zwei Wochen, das sei inzwischen eine seiner „Lieblingszeiteinheiten“, schreibt die „New York Times“

Nun ist es zwar beruhigend, dass sich der Oberbefehlshaber der mächtigsten Streitmacht des Planeten die Entscheidung über das Entfachen eines mindestens verheerenden, womöglich sogar unkontrollierbaren Flächenbrandes im Nahen Osten, angemessen schwer macht. 

Jedoch hat sein Zögern wenig mit staatsmännischer Demut zu tun. Auch die Behauptung, dass es eine „beträchtliche Chance auf Verhandlungen“ gebe, dient bloß als Feigenblatt. Nein, der wahre Grund, warum Donald Trump zögert, ist profaner: Der Mann hat Angst. 

Der neue amerikanische Hardcore-Isolationismus, die Grundsäule der MAGA-Religion, ist unvereinbar mit der alten Rolle als Demokratie-exportierende Weltpolizei. Nicht nur betriebsblinden Neurechten ginge das zu weit. Es ist eine ur-republikanische Furcht, die Trump hier triggert. Krieg kostet nicht nur Menschenleben, sondern vor allem Geld. Viel Geld. Mehr als zweitausend Milliarden Dollar sollen die 20 Jahre Afghanistan verschlungen haben. Das Ergebnis: ein absolutes Desaster. 

Jetzt schon rumort gewaltig an der MAGA-Basis. Bei der Vorstellung, die USA könne sich erneut in einen womöglich jahrzehntelangen Konflikt fernab der Heimat stürzen, stellen sich selbst den hartgesottensten Trumpisten die Nackenhaare auf. Die Jünger verzeihen ihrem Messias vieles, fast alles. Der könnte sich vermutlich tatsächlich, wie einst von ihm behauptet, „auf die Fifth Avenue stellen und jemanden erschießen“. Aber ein Krieg in Übersee?  Bei aller Liebe, nein. Und am Ende des Tages ist Trump eben genau nach der süchtig, nach der Liebe seiner Anhänger. Die zu verlieren? Nicht auszudenken. Also, dann doch lieber leere Worte statt leere Patronenhülsen? Hinhalten statt draufhalten?

Wadephul auf heikler Mission

Trumps Drohung mit dem Überüberübermorgen dürfte Johann Wadephuls Arbeitstag nicht leichter machen. Dabei steht dem Bundesaußenminister nach holprigen ersten Amtswochen ohnehin schon der Schweiß auf der Stirn.

Er trifft heute mit seinen beiden Kollegen aus Frankreich und Großbritannien Irans Chefdiplomaten. Wie heikel Wadephuls Mission ist? Darüber geht es im neuen „5-Minuten-Talk“:

Wer reich ist, hat mehr vom Tag

Sie haben es vielleicht schon bemerkt: Es ist Sommer. Also, kalendarisch gesehen tatsächlich erst seit heute, meteorologisch schon seit Monatsanfang. Manche Dinge sollen mir für immer ein Rätsel bleiben. 

Weil wir uns erst wieder am Montag lesen, hier ein weniger zweideutiger Servicehinweis fürs Wochenende: Morgen ist Sommersonnenwende, der längste Tag des Jahres.

Nun hängt der Wendekreis allerdings von der Lage ab. In den Sylter Dünen können sie eine Stunde länger in der Sonne sitzen als am Frankfurter Hauptbahnhof. Warum auch immer Sie das tun sollten. 

Aber wusst‘ ich’s doch: Selbst Tageslicht ist bloß eine Frage des Geldes. 

Das Leiden der anderen

Noch nie waren weltweit mehr Menschen auf der Flucht, mehr als 122 Millionen, fast doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren.

Darüber denken wir selten wirklich nach, schließlich ist das ferne Leid der anderen für uns Glückskinder Normalität. Und außerdem: Die Toleranzschwelle für schlechte Nachrichten ist dieser Tage längst überschritten. 

Kein Mensch flieht freiwillig – aber ganz freiwillig können wir uns entscheiden, diesen Menschen zu helfen

– Filippo Grandi, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge

Ich merke es ja selbst, das liest sich hier alles gezwungen bedeutungsschwer. Trotzdem. Lassen Sie uns heute, zum Weltflüchtlingstag, wenigstens einen Moment innehalten. Auch, wenn damit den Millionen Vertriebenen wenig geholfen ist. 

Dazu lege ich Ihnen das Quiz der UN-Flüchtlingshilfe ans Herz

Was heute sonst noch ansteht

Für Maja T. könnte es ein guter Tag werden. Das Stadtgericht in Budapest entscheidet, ob die 24-jährige non-binäre deutsche Person aus der Haft entlassen wird, in der sie seit einem Jahr sitzt. Seit zwei Wochen ist T. im Hungerstreik. Ihr wird vorgeworfen, 2023 auf einer Demo mit anderen Aktivisten einen Rechtsextremen angegriffen und schwer verletzt zu habenFalls Sie bei den Temperaturen auf der Suche kühlen Nass wählerisch sind, so horchen Sie auf. Die EU-Umweltagentur veröffentlicht nachher ihren jährlichen Badegewässerbericht. Wie schneidet der See/Fluss/Tümpel bei Ihnen um die Ecke ab? Apropos EU. Ab heute gelten für alle Smartphones, die in der Union verkauft werden, neue Kennzeichnungspflichten. Klingt trocken, ist aber praktisch. Die Hersteller müssen jetzt nämlich unter anderem die Energieeffizienz, die Langlebigkeit des Akkus, den Schutz vor Staub und Wasser und die Widerstandsfähigkeit gegen Stürze ausweisenUS-Sänger Chris Brown, Rihannas berüchtigter Ex, muss in London vor Gericht erscheinen. Er soll sich für eine Prügelei in einer Bar verantworten. Nein! Doch! Ohhh!

Die fernöstliche Weisheit des Tages 

Es ist nicht so, als käme ich aus der Provinz. Gut, in dem Kölner Heile-Welt-Vorort, in dem ich aufgewachsen bin, gilt vermutlich selbst eine Krankenwagensirene als Ruhestörung. 

Aber spätestens, nachdem ich fünf Jahre in direkter Nachbarschaft zu einer Hamburger Autobahnzufahrt gewohnt habe, bin ich an einen ungesunden Geräuschpegel gewöhnt. 

So sehr, dass ich echte Stille, wenn sie mich denn mal umgibt, deutlicher höre als Großstadtlärm. 

Man kann Stille hören

Doch diese nie enden wollende Audioflut, die mir hier in Seoul entgegenschlägt, zerrt wirklich an meinen Nerven. Den morgen|stern schreibe ich Ihnen nur unter Beihilfe tonnenschwerer Bügelkopfhörer mit warentesttauglicher Geräuschunterdrückung.

Seoul, dieser 25-Millionen-Molloch, lässt mich buchstäblich nicht in Ruhe. Wie ein Bienenstock mit Tinnitus-Ambitionen. Vor diesem undefinierbaren, dauerdrückenden Bass gibt es kein Entkommen. Er legt sich selbst laut flüsternd über die vermeintlichen Oasen der Stille, in den Parks und Palästen.

Ich muss dringend mal raus. Morgen fahre ich in eine Kleinstadt am Strand. Busan heißt die. Nur 3,5 Millionen Einwohner. 

Ich wünsche Ihnen ein großartiges Wochenende – annyeonghi gyeseyo!

Ihr

Yannik Schüller

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