Energiewende: Langsamer Netzausbau: Risiko regionaler Stromausfälle steigt

Der Ausbau der Solarenergie schreitet in Bayern weit schneller voran als der Netzausbau. Die bayerische Energiewirtschaft fürchtet Überlastungen – einschließlich regionaler Stromausfälle.

In Bayern steigt nach Einschätzung der Energiewirtschaft das Risiko regionaler Stromausfälle. Maßgebliche Ursache ist, dass der Netzausbau sehr viel langsamer fortschreitet als der Ausbau der Solarenergie im Freistaat. Unmittelbare Folge ist, dass in Bayern erzeugter Solarstrom in beträchtlichem Umfang „abgeregelt“ werden muss, also quasi für die Mülltonne produziert wird. Das geht aus Daten der Bundesnetzagentur hervor. 

Deutlich gestiegene Gefahr „regionaler und zeitlich begrenzter Abschaltungen“ 

„Der Zubau an Photovoltaik erfolgt wesentlich schneller und stärker als der Netzausbau, und zwar sowohl im Übertragungs- als auch im Verteilnetz“, sagt Marian Rappl, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW). „Mit dem massiven Ausbau der Photovoltaik gerade auch in Bayern und dem damit nicht Schritt haltenden Netzausbau ist die Gefahr von gezielten regionalen und zeitlich begrenzten Abschaltungen von Betriebsmitteln nach Paragraf 13.2 Energiewirtschaftsgesetz im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen.“ Die Folge einer regionalen und zeitlich begrenzten Abschaltung wäre ein Stromausfall

Der von Rappl genannte Paragraf enthält die gesetzlichen Vorgaben für extreme Belastungen des Stromnetzes, in denen das gewöhnliche Engpass-Management nicht genügt. Das Wirtschaftsministerium in München besänftigt: „Einschränkungen der Stromversorgung aufgrund von Netzengpässen und gleichzeitigen Erzeugungsüberschüssen bei erneuerbaren Energien sind jedoch unwahrscheinlich“, sagte eine Sprecherin.

Schreckensszenario bislang nicht eingetreten, aber Gefahr real

„Die Gefahr der Netzüberlastung ist also Realität, wird aber bislang durch die Netzbetreiber mit geeigneten Maßnahmen verhindert“, sagt Rappl. „In der Regel gelingt es durch vorausschauende Maßnahmen, komplexe Situationen wie Erzeugungsspitzen zuverlässig zu bewältigen“, sagt eine Sprecherin des Netzbetreibers Tennet, der in Bayern für das Höchstpannungsnetz verantwortlich ist.

Doch die Strombranche macht sich Sorgen. Im VBEW beschäftigt sich schon seit einiger Zeit eine Arbeitsgruppe mit Szenarien, die einen unerwünschten Fall 13.2 erforderlich machen könnten. 

Das letzte Mittel

Bei Zusammenkommen mehrerer ungünstiger Faktoren „kann es in Ausnahmefällen erforderlich sein, ergänzend Maßnahmen nach Paragraf 13.2 EnWG, sogenannte „kontrollierte Lastabschaltungen“, zu ergreifen“, erläutert die Tennet-Sprecherin in Bayreuth. „Dies kann in letzter Konsequenz auch bedeuten, dass bestimmte Netzelemente zeitlich und regional begrenzt vom Netz getrennt werden müssen.“ Solche kontrollierten Lastabschaltungen seien das äußerste Mittel und würden nur dann angewendet, „wenn alle konventionellen Maßnahmen ausgeschöpft sind“.

Doch was bedeutet ein Zusammenkommen „ungünstiger Faktoren“? Ein vereinfachtes Beispiel wäre das Zusammentreffen eines Engpasses im bundesweiten Übertragungsnetz mit sehr hoher Solarstromproduktion in Bayern bei gleichzeitig niedrigem Verbrauch. 

Aufwand für Engpassmanagement in Bayern gestiegen

Das gewöhnliche Netzengpass-Management heißt im Fachjargon „Redispatch“, der Aufwand dafür ist in Bayern im vergangenen Jahr erheblich gestiegen. Laut Bundesnetzagentur wurde 2024 fast eine Terawattstunde bayerischen Solarstroms „abgeregelt“, nämlich 986 Gigawattstunden. Insgesamt erzeugten Bayerns Solaranlagen 2024 nach Schätzung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg rund 20,5 Terawattstunden Strom. 

Problem kommt nicht überraschend

Die heutigen Schwierigkeiten sind nicht vom Himmel gefallen. Die Vorgeschichte: Nach dem Atomunglück in Japan 2011 zählten der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Nachfolger Markus Söder (CSU) in der Union zu den Wortführern der Fraktion, die das Wiedervorziehen des zuvor verschobenen Atomausstiegs auf 2022 durchsetzte. Damaliger O-Ton Söder: „Fukushima ändert alles.“ 

AKWs abgeschaltet, Stromleitungen nicht da

Um den damit verbundenen Verlust an heimischem Atomstrom auszugleichen, folgten kurz darauf die ersten Pläne zum Bau neuer Höchstspannungsleitungen von Nord- nach Süddeutschland. Vom Widerstand in Teilen der Bevölkerung überrascht und vom „Monstertrassen“-Gegner Hubert Aiwanger verfolgt, setzte die CSU-Spitze den unterirdischen Bau der ursprünglich als Freileitungen geplanten großen Stromtrassen „Suedlink“ und „Suedostlink“ durch. 

Die Erdkabel machen beide Leitungen sehr viel teurer und verzögern deren Fertigstellung um Jahre. Nach derzeitigem Stand soll Suedostlink im Jahr 2027 in Betrieb gehen, Suedlink 2028, wie die Tennet-Sprecherin sagt. 

Gemäß der ursprünglichen Überlegungen hätten die Leitungen schon 2022 pünktlich zum Atomausstieg fertig werden sollen. Im April 2023 wurden die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet. 

Große Stromlücke in Bayern

Eine Folge des einst von Seehofer und Söder forcierten frühen Atomausstiegs ist, dass die bayerische Stromerzeugung den Bedarf bei weitem nicht mehr deckt, wie von den Fachleuten schon vor über einem Jahrzehnt korrekt prophezeit. Nach der Fraunhofer-ISE-Schätzung wurden in Bayern 2024 knapp 59 Terawattstunden Strom erzeugt, aber an die 77 Terawattstunden verbraucht. 

Mittlerweile fordert die Staatsregierung schnellen Stromleitungsbau, im Bundestagswahlkampf verlangte Söder zudem die Reaktivierung von Kernkraftwerken. Vom Trassensaulus zum -paulus gewandelt hat sich auch der zum Wirtschaftsminister aufgestiegene Aiwanger.

Weder der VBEW noch Tennet kritisieren CSU oder Freie Wähler. Doch wird ziemlich deutlich, dass das derzeitige Problem nicht so groß wäre, wären die beiden Trassen bereits in Betrieb. „Bei all unseren Netzverstärkungs- und Ausbauprojekten zeigt sich nach der Inbetriebnahme eine deutliche Entlastung im Engpassmanagement“, sagt die Tennet-Sprecherin. Das gelte dann gleichermaßen auch für Großprojekte wie Suedlink und Suedostlink. 

Der Ausbau der Solarenergie in Bayern schreitet derweil voran. „Insgesamt dürfte damit in Bayern für das weitere Jahr 2025 ein weiterhin stark dynamischer Zubau der Photovoltaik zu erwarten sein“, sagt die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums in München.

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