morgen|stern: Über die bittere Routine nach der Gewalt – die Lage am Morgen

Tragik wird furchtbare Gewohnheit. Donald Trump macht Werbung für die Konkurrenz. Eine tierische Ikone feiert Geburtstag. Und was sonst heute noch wichtig wird. 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

das Schlimmste, woran wir uns gewöhnen können, ist Gewalt. Und doch tun wir es. Wir können gar nicht anders. 

Egal wie furchtbar die Tat, ob Messerattacke, Bombenanschlag oder Schießerei: Sie greifen schnell, die Automatismen. Der gestrige Amoklauf in Graz, bei der ein junger Mann zehn Menschen und sich selbst brutal aus dem Leben riss, wird da keine Ausnahme sein. Der Ablauf ist immer der gleiche: 

Auf den ersten Schock, auf das Gefühl der Ohnmacht, folgt die Suche nach dem Motiv. Doch auf das Warum gibt es keine Antwort, zumindest keine hinreichende. Wie auch? 

Dann, noch während die Opferzahlen wieder und wieder nach oben korrigiert werden, sind sie da, die ersten Wellen der Anteilnahme, die echte und die pflichtbewusste. Beileidsbekundungen, Schweigeminuten, Staatstrauer. 

Gefolgt von der Suche nach dem Wie. Wie konnte das nur passieren? Wie kann es nie wieder passieren? Je nach Tat, Täter und Tatort begleitet von den immer ähnlichen Debatten: Waren die Sicherheitsvorkehrungen zu lasch? Muss das Waffenrecht verschärft werden? Warum hat niemand das Böse rechtzeitig erkannt? Am Ende steht immer ein frustrierendes Ungleichgewicht zwischen vielen Fragen und wenigen Antworten.

Schließlich setzt die Erschöpfung ein, dann die Flucht ins Verdrängen, ins Vergessen. Das funktioniert für Politiker, für Journalisten, im Grunde für die Allermeisten mit dem Privileg der Distanz. Für diejenigen, die zurückbleiben, funktioniert es nicht. Für die Väter und Mütter, für die Geschwister, für die Großeltern, für die Freunde. Sie alle haben etwas von sich selbst verloren. Etwas, das ihnen nichts und niemand wiedergeben kann. 

Und dann? Mit der Zeit verblassen die Namen der Opfer, auch die der Täter – wenn auch leider weitaus langsamer. Was uns bleibt, ist eine unterschwellige Wut. Eine von der Art, die an der Seele nagt, die Gesellschaften mürbe macht. Die uns zu scheußlichen Gedanken und schrecklichen, vermeintlich einfachen „Lösungen“ treibt.

Unsere Trauer, sie hat eine immer kürzere, unser Zorn eine immer längere Halbwertszeit. Doch Gewalt darf niemals zur Routine werden.

Donald Trump schießt sich selbst ins Knie – und humpelt weiter

Ich würde Sie wirklich gerne nur einen Morgen ohne das T-Wort in den Tag starten lassen, ganz ehrlich. Aber, was soll ich machen? Also, bringen wir es hinter uns – diesmal mit ein wenig konstruierter Hoffnung.

Donald Trump, Macher, der er nun mal ist, hat eine Lösung für die Eskalation in Los Angeles gefunden: Er eskaliert weiter. Brillant. Tatsächlich aber ist ihm durch sein Aufplustern nur eines gelungen: eine gewaltige Werbekampagne für seinen ärgsten Rivalen. 

Neben Gavin Newsoms schülersprecherreifen Auftreten wirkt der US-Präsident dieser Tage wie ein tumber High-School-Bully, der seine mangelnde Führungsstärke mit reflexartiger Brutalität zu kaschieren versucht. Zwar hat Trump inzwischen gemerkt, dass er sich selbst ins Knie geschossen hat, er kann aber nicht mehr umkehren.

Außerhalb der USA war der Name des kalifornischen Gouverneurs bis vor wenigen Tagen Feinschmeckerwissen. Jetzt ist er hashtagtauglich. Dank Clips wie diesem:

Tweet Newsom

Autsch. Ja, der Mann hat MAGA-Alptraumpotenzial: gut aussehender Familienvater, begnadeter Rhetoriker, geläuterter Alkoholiker. Der Stoff, aus dem Siegergeschichten sind. Der 57-Jährige sendet unverkennbare Kennedy-Vibes, verkörpert wie derzeit niemand sonst das alte demokratische Ideal. Klar, es ist noch viel zur früh, Fassaden bröckeln. Aber ich rate Ihnen: Merken Sie sich diesen Namen. Er wird noch wichtig. Spätestens 2028. 

Zeitenwende nach der Zeitenwende?

Apropos Revolte. Dem kommt auch das Grundsatzpapier einiger SPDler gleich, das dem stern vorliegt. Dieses „Manifest“ hat es durchaus in sich. Darin fordern prominente Sozialdemokraten, zum Beispiel Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, im Grund eine Zeitenwende nach der Zeitenwende: Gespräche mit Russland, Abrüstungsinitiativen, einen Stopp der Stationierung neuer US-Raketen.

In der neuen Ausgabe des Podcasts „5-Minuten-Talk“ erzählen Ihnen meine Berliner Kollegen genaueres. Bitte hier entlang: 

Alles Gute zum 420., Idefix!

Wie würde der stärkste aller Gallier sagen: „Die spinnen, die Germanen!“. Und sein treuer Begleiter würde antworten: Naja, nichts. Idefix steckt sein wildschweinsüchtiges Herrchen in Sachen Spitzfindigkeit zwar ins Fell. Sprechen kann er aber nicht. 

Mit 60 wird er es auch vermutlich nicht mehr lernen. So alt wird er nämlich heute. Alles Gute, Tiger! Siehst gut aus für 420!

Seinen ersten Auftritt hatte Idefix zwar schon im März 1965, bei Asterix‘ und Obelix‘ sechstem Abenteuer, auf ihrer Tour de France. Damals übrigens noch mit feschem Wuschelkopf:

Die Evolution des Idefix
© Verlag Albert René

Feiern lässt sich der knuffigste aller Franzosen aber erst heute – mit einer Luxusausgabe seines Debüts und dem achten Comic-Buch von „Idefix und die Unbeugsamen“.

Für mich stellt er tierische Comic-Konkurrenz klar in den Schatten: Snoopy, Pluto, Scooby-Doo und erst recht Struppi, diesen billigen Vorklatsch! Ich beruhige mich.

Wo es für Asterix, Obelix und Idefix im Herbst hingeht, lesen Sie hier. Spoiler: Hätte ich auch nichts gegen.

Was heute sonst noch ansteht

In Polen stimmt das Parlament in einer außerordentlichen Sitzung über die Vertrauensfrage von Ministerpräsident Donald Tusk ab. Nach dem Sieg des Rechtskonservativen Karol Nawrocki bei der Präsidentenwahl steht die (noch) proeuropäische Regierung unter DruckDer Bundeskanzler empfängt die dänische Ministerpräsidentin Jette Frederiksen. Es soll vor allem um Migrationsfragen (die unsere Nachbarn ganz anders beantworten) und um die Ukraine gehenUnd noch ein Ausblick ins Dunkel: Heute Nacht steht der Erdbeermond am Himmel. So wird der Vollmond im Juni genannt. Auch wenn unser Trabant derzeit recht weit weg ist, erscheint er kurz nach dem Aufgehen besonders groß

Die fernöstliche Weisheit des Tages

Ich hab’s wirklich, wirklich versucht: Aber K-Pop ist überhaupt nicht meins. Das ist schlecht. Entkommen kann ich dem in meinen Ohren knatschbunten Lärm in Seoul nämlich nicht. Auf jedem Bildschirm, auf jedem Hochhaus, auf jedem Müsliriegel prangen die Gesichter dieser Überstars. Als hätte das Land gleich Dutzende Ikonen vom Rang Helene Fischers – meine persönliche Hölle. Tut mir leid. Wobei. Nein, tut es nicht.

Eine Helene Fischer reicht

Und jetzt drehen sie hier endgültig durch, aus angeblich gutem Grund. BTS, die Kings of K-Pop, könnten bald zurück sein. Die Band musste nämlich pausieren, solange vier ihrer sieben Mitglieder den obligatorischen Militärdienst ablieferten. 

RM (kniend) und V nach ihrer Entlassung aus dem Militärdienst
© Chung Sung-Jun

Ich wünsche eine happy Reunion und Ihnen einen großartigen Tag – annyeonghi gyeseyo!

Ihr 

Yannik Schüller

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