Meinung : Nietzards Hoodie war dumm, ja. Klöckners Drohung ist trotzdem drüber

Nicht der ACAB-Hoodie von Jette Nietzard ist das Problem, sondern der Brief von Klöckner: In einer Demokratie dürfen Menschen Mist reden. Machen Merz und Klöckner auch.  

Keine Frage, Jette Nietzard, Sprecherin der Grünen Jugend, hat sich einen Namen gemacht, weil sie viel Blödsinn von sich gibt. Vor wenigen Tagen hat sie ein Foto von sich ins Netz gestellt. Sie trug darauf einen Hoodie, auf dem das Akronym „ACAB“ zu lesen war. Die linke Szene in Deutschland übersetzt „All Cops are Bastards“ frei mit: „Alle Bullen sind Schweine.“ Nach dem Shitstorm ruderte Nietzard halbherzig zurück, natürlich seien nicht alle Polizisten Schweine, aber: „Ich hasse das System hinter der Polizei„, sagte sie und sprach von „Lorenz“, der in Oldenburg kürzlich von der Polizei erschossen wurde. Und davon, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund und/oder dunkler Hautfarbe Angst hätten, wenn sie einen Streifenwagen sähen. 

Die Grünen haben nun Post von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) bekommen. Die Partei hat Nietzard einen Ausweis für den Bundestag besorgt, obwohl sie keine Abgeordnete ist. Sollte Nietzard den Bundestag mit diesem Hoodie betreten, würde das gegen die Hausordnung verstoßen, mahnte Klöckner. Die Polizisten dort könnten sich beleidigt fühlen. Schlimmstenfalls drohe Nietzard ein Hausverbot. 

Falsch, dumm, populistisch von Jette Nietzard

Dass Nietzard das Akronym veröffentlicht, ist dumm, die Aussage ist falsch, sie ist populistisch. Entschuldigen, wie gefordert, muss sie sich trotzdem nicht. In einer Demokratie dürfen Menschen Blödsinn reden, das ist Teil des Business. Klöckners Reaktion ist überzogen. Und sie zeigt eine ungute Seite der Union: Sie maßregelt die Menschen gerne, obwohl sie selbst mitunter Blech redet.  

Kanzler Friedrich Merz (CDU) sprach vor der Bundestagswahl von „grünen und linken Spinnern“ und davon, dass er Politik machen wollte für Menschen, die „noch alle Tassen im Schrank haben.“ Dagegen nimmt sich ein ACAB-Hoodie fast harmlos aus. Unvergessen auch seine Gattin Charlotte, die dem ZDF-Reporter Lutz van der Horst das Mikro runterdrückte, weil der eine wohl zu freche Frage zur Leitkultur gestellt hatte. 

Friedrich Merz hat 1997 auch dagegen gestimmt, dass Vergewaltigung in der Ehe ins Strafgesetzbuch geschrieben wurde. Er wollte eine Widerspruchsklausel, mit der die Frauen die Strafverfolgung hätten verhindern können. Dass das ein Einfallstor für Vergewaltiger gewesen wäre, ihre Opfer unter Druck zu setzen, hatte er wohl übersehen. Inzwischen hat Merz eingesehen, dass er sich getäuscht hat. 

Julia Klöckner wollte den Kirchen kürzlich den Mund verbieten. Sie sollten sich mal bitte mit politischen Äußerungen zurückhalten. Das sei nicht Aufgabe der Kirchen. Offenbar hatte Klöckner für einen Moment vergessen, dass in diesem Land jeder seine Meinung frei in Wort, Schrift und Bild äußern darf – solange damit keine Straftat begangen wird. 

ACAB-Schriftzug ist keine Straftat

Das ist bei dem Akronym „ACAB“ nicht der Fall. „Die Kundgabe der Buchstabenkombination ,ACAB‘ im öffentlichen Raum ist vor dem Hintergrund der Freiheit der Meinungsäußerung nicht ohne weiteres strafbar“, entschied das Bundesverfassungsgericht 2016 im Falle eines Fußballfans, der eine schwarze Hose mit der Aufschrift „ACAB“ getragen hatte – der Schriftzug zierte sein Gesäß. Der Schriftzug, so das Bundesverfassungsgericht, könne auch als eine Art Systemkritik gelesen werden. 

Tatsächlich gibt es an der deutschen Polizei viel zu kritisieren. Es stimmt, dass in Deutschland Polizeiübergriffe nicht adäquat verfolgt werden. Es gibt keine unabhängigen Untersuchungskommissionen. Das kritisieren nicht irgendwelche „linken Spinner“, sondern die Menschenrechtskommissare der EU, und zwar schon seit 1996 – also mithin seit fast 30 Jahren. 

Um ihre Systemkritik an der Polizei zu untermauern, sprach Nietzard von „Lorenz“ (man fragt sich, warum sie den Verstorbenen beim Vornamen nennt und ob das unbedingt ein Zeichen von Wertschätzung ist). Gemeint war der 21-jährige Lorenz A., der kürzlich bei einem Polizeieinsatz in Oldenburg erschossen wurde –  und zwar von hinten. Natürlich muss man genau hinsehen, ob hier gründlich ermittelt wird. Die Ermittlungen dauern aber noch an. Es ist offenbar noch unklar, ob Lorenz A. Reizgas auf die Polizisten gesprüht hat. Ob der Beamte, der erschossen hat, vielleicht nichts mehr sehen konnte und in Panik um sich geschossen hat und ob er das durfte oder vor Gericht gestellt werden muss. Seltsam ist, dass die Bodycams der Beamten ausgeschaltet waren. Aber es ist noch zu früh, diesen bedauerlichen Todesfall zu beurteilen. 

Es stimmt auch, dass Personen, die als „fremd“ wahrgenommen werden, etwa doppelt so häufig von der Polizei kontrolliert werden, wie andere Menschen. Auch das ist keine Aussage von „linken Spinnern“, sondern das Ergebnis seriöser Studien. Es gab und gibt ungeheuerliche Fälle. Derzeit wird mindestens gegen 400 Polizisten ermittelt, die unter Verdacht stehen, rechtsextrem zu sein. Eine Studie hat gerade herausgefunden, dass in Hamburg fast jeder vierte Polizist politisch rechts, wenn nicht gar rechtsaußen ist. 

ACAB schert alle über einen Kamm

Trotzdem gibt es keinen Grund, das „System Polizei“ zu „hassen“, wie Nietzard es tut. In Deutschland gibt es rund 330.550 Polizistinnen und Polizisten. „ACAB“ drängt alle in eine Ecke, auch die, die gewissenhaft ihren Job machen – und das sind die meisten. Die deutsche Polizei gehört – bei aller berechtigten Kritik – zu den besten der Welt. Laut Amnesty International werden in den USA vor allem Afroamerikaner häufig ­Opfer tödlicher Polizeigewalt. In Nigeria nehmen Polizisten wahllos Menschen fest, foltern und töten sie. Das kann nicht unser Maßstab sein. Aber auch in Europa gibt es Foltervorwürfe gegen die spanische, italienische und französische Polizei. 

Daher sollte Nietzard den Pulli in die Altkleidersammlung werfen, auf Polizeiwachen gehen, sich den Job der Polizei angucken und mit den Beamten reden. Nur so wird sie eine Politikerin, der die Menschen zuhören. Und noch wichtiger: Eine, die die Menschen ernst nehmen. 

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