Meinung: Die zwei Risiken von Trumps Chaos-Politik

Die einzige Konstante unter Donald Trump ist Unsicherheit, wie sich auch in der Handelspolitik zeigt. Europa und seine Unternehmen müssen sich darauf einstellen und dagegen absichern.

Selbst im Chaos sucht der Mensch stets nach Mustern – wahrscheinlich in der Hoffnung, im Durcheinander doch eine Ordnung, vielleicht sogar eine Logik entdecken und die Dinge besser verstehen zu können.  

Nach wenigen Wochen im Amt sah das erste erkennbare Muster bei Donald Trump ungefähr so aus: Es kommt immer anders. Was er gestern verkündet hat, kann heute oder morgen schon wieder vergessen sein oder nun das glatte Gegenteil bedeuten. Die Europäer waren mal blutsaugende Schmarotzer, die die USA seit Jahrzehnten ausnehmen, dann wieder hoch geschätzte Partner, mit denen man noch viele gute Geschäfte machen wird. Dieser Politikansatz des permanenten Widerspruchs mit sich selbst war und ist die erste Trump-Konstante.  

Die zweite Trump-Konstante hat sich in dieser Woche offenbart: Unter seiner Führung nimmt das Tempo, in dem dieses Hin und Her die USA und die ganze Welt in Atem hält, beständig zu. Denn jetzt verstrickt sich der US-Präsident nicht nur in Widersprüche mit sich selbst, sondern auch mit den wichtigsten Institutionen des Landes, dem Parlament und den Gerichten. Zwischen die üblichen Ankündigungen und Drohungen, die mal so und mal so ausfallen können, platzen nun auch noch beinahe stündlich Urteile von Gerichten im ganzen Land, die entweder Trumps Position verwerfen oder sie bestätigen respektive die Urteile aus der ersten Instanz wieder aufheben. Dieses Muster zeichnet sich bei allem ab, was Trump anfasst, egal, ob es um Abschieberegeln geht, die Elite-Hochschule Harvard oder um seine Handelszölle.  

Beste Option: Nichts tun

Das, worüber man aus der Ferne nur den Kopf schütteln kann, hat gravierende Folgen – für die USA, die dortigen Unternehmen, Arbeitnehmer, Wissenschaftler und Studenten, aber ebenso für Unternehmen, Arbeitnehmer, Wissenschaftler und Studenten hierzulande. Das Beste, was hiesige Manager angesichts des Zoll-Chaos gerade mit Blick auf ihr US-Geschäft tun können, ist: nichts tun. Abwarten und darauf hoffen, dass sich die Dinge irgendwann einmal klären. Doch Abwarten bedeutet eben auch: Aufträge bleiben aus, geplante Investitionen werden verschoben, dringend benötigte Vorprodukte und Zulieferteile werden knapp, Produktionen gedrosselt und Mitarbeiter nach Hause geschickt.  

Noch sieht man all diese Effekte kaum oder gar nicht in den Statistiken, denn die bilden immer noch die Lage von vor zwei oder drei Monaten ab. Aber sie werden kommen, ganz sicher. Torsten Slok etwa, Chefökonom der New Yorker Investmentgesellschaft Apollo Management, veröffentlichte diese Woche eine Grafik, die die verschifften Container von China in die USA zeigt. Man sieht darauf einen harschen Einbruch seit Verkündung der hohen China-Zölle – aber keine Rückkehr des Container-Transports seit Aussetzen dieser Zölle nach der angeblichen Einigung Anfang Mai. Offensichtlich halten sich beide Seiten weiter zurück – die US-Firmen ordern weniger, und die Chinesen schicken weniger. Unterm Strich werden beide Seiten weniger umsetzen und verdienen, die Geschäfte werden schrumpfen, Jobs gehen verloren – der Schaden ist absehbar.  

Insofern war es auch keine Überraschung, dass die Euphorie nach dem Urteil aus New York am Donnerstag, das die meisten Zölle Trumps überraschend klar und deutlich für nichtig erklärt, schnell wieder verflogen war. Denn schon wenige Stunden nach dem Richterspruch zeichnete sich ab, dass Trump und seine Leute eine solche Niederlage niemals akzeptieren werden – und auch nicht müssen. Denn einerseits haben sie mannigfaltige Möglichkeiten, das Urteil selbst anzugreifen, zum anderen könnten sie die Zölle notfalls auch auf anderer Grundlage wieder einführen. Dass ein Berufungsgericht in Washington wenige Stunden später das Urteil aus New York wieder aussetzte, bestätigte all jene, die von Anfang an nicht an die Rückkehr zu den alten Regeln geglaubt hatten.  

Trump sorgt für zwei Risiken

In der stetigen Chaotisierung der Politik liegen allerdings zwei Risiken. Das erste ist die Abstumpfung: Die Welt gewöhnt sich daran, dass in Bezug auf die USA nichts mehr sicher ist, weder die Einfuhrbestimmungen noch die Einreisemodalitäten noch die Steuer- und Investitionsbedingungen für Unternehmen. Was Trump heute sagt, kann in ein paar Stunden schon wieder ganz anders sein, wer weiß das schon. Allerdings: Die USA sind nach wie vor die wichtigste Wirtschafts- und Militärmacht der Welt. Es kann Europa nicht egal sein, was in den USA geschieht. Allen Bestrebungen unabhängiger zu werden zum Trotz ist Europa auf absehbare Zeit weiter zu abhängig von den USA, um die Vorgänge dort einfach ignorieren oder aussitzen zu können.  

Das zweite und viel größere Risiko ist eine Zuspitzung in den USA, die sich mit dieser Woche abzeichnet: dass sich aus der politischen Krise der USA noch eine Verfassungskrise entwickelt. Nämlich dann, wenn die Auseinandersetzung zwischen den Parteilagern zunehmend über die Gerichte ausgetragen wird, die sich in ihren Urteilen und Instanzen widersprechen und überbieten. 

Checks and Balances im Feuer

Gut möglich, dass die Frage, ob Trump auf der Grundlage eines Notstandsgesetzes aus dem Jahr 1977 am Kongress vorbei Importzölle verfügen darf, schon bald den obersten Gerichtshof der USA beschäftigen wird. Und so, wie dieses Gericht besetzt ist, kann sich Trump gute Chancen ausrechnen, dass er dort Recht bekommt. Das berühmte System der Checks and Balances in der US-Verfassung, das als Vorbild für so viele politische Systeme in der Welt gedient hat, wäre dann allerdings endgültig verloren.

Für die Handelspartner in Europa und die Kommission in Brüssel, die nun eigentlich eine Einigung im Handelsstreit aushandeln müssen, ist dies eine heikle Lage. Einfach wäre es jetzt, auf Zeit zu spielen und abzuwarten, was und wie die Gerichte in den USA entscheiden. Gut möglich aber, dass der juristische Kampf Trump am Ende eher stärkt als schwächt – und Europa dann viel wertvolle Zeit verloren hat. Es könnte sich daher auch als klüger erweisen, in dieser Lage einen großzügigen Schritt auf Washington zuzumachen. Denn wichtiger als die Frage, ob jetzt ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger Zoll bei der Einfuhr in die USA fällig werden, ist für die meisten Unternehmen hier doch inzwischen etwas anderes: dass es möglichst bald überhaupt wieder klare Regeln und Bedingungen gibt, nach denen sie ihre Geschäfte betreiben und auf die sie sich einstellen können. Ein Zoll von zehn oder 20 Prozent wäre zwar ärgerlich für Europas Unternehmen, aber für die meisten wahrscheinlich verkraftbar – und allemal besser als das aktuelle Chaos.

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