Bundespräsidentin: Warum 2027 eine Frau ins Schloss Bellevue gehört

Folgt auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erstmals eine Frau im höchsten Amt im Staat? Drei prominente Politikerinnen finden dazu im stern deutliche Worte.

Neulich bei „Miosga“ hatte Carsten Linnemann mal eine Idee: „Ich würde mich freuen, wenn es mal eine Bundespräsidentin gibt, die wählen wir bald. Und so eine Bundespräsidentin würde Deutschland guttun.“ 

Es war ein überraschendes Bekenntnis, eines, das Fragen aufwirft: Ist das ernst gemeint – oder bloß Krisen-PR? Denn in der neuen Bundesregierung wurden Schlüsselpositionen bislang bevorzugt mit Männern besetzt, Frauen dagegen oft mit Nebenposten abgefunden. Im Koalitionsausschuss, dem wichtigsten Gremium von Schwarz-Rot, ist nur eine einzige Frau vertreten. 

Wird dafür 2027 die erste Bundespräsidentin ins Schloss Bellevue, den Amtssitz des Bundespräsidenten, ziehen?  

Der frühere Kanzler Olaf Scholz hat das bereits im vergangenen Jahr im stern-Interview gefordert: „Ich würde mich freuen, wenn wir 2027 eine Frau ins Schloss Bellevue wählten.“ Eine, die mithelfen will, dass diese Forderung kein Lippenbekenntnis bleibt, ist Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Die aktuelle Nummer Zwei im Land bringt es auf den Punkt: „Auf der Liste der Bundespräsidenten stehen seit 1949 zwölf Männer, keine Frau. Das ist das Gegenteil von Gleichberechtigung. Es wird höchste Zeit für Normalität auch im höchsten Staatsamt.“ Klöckner begrüßt, dass die Koalitionspartner nun die Nominierung einer Frau in Aussicht stellen: „Es ist ein längst überfälliger Schritt.“

Die Grünen machen’s vor: Die Fraktionsspitze besteht mit Britta Haßelmann (l.) und Katharina Dröge (r.) sogar nur aus Frauen
© IMAGO

Doch nicht nur Klöckner sieht die Dringlichkeit. Britta Haßelmann, Fraktionschefin der Grünen, fragt kritisch: „Warum erst jetzt? Und warum stellt sich diese Frage mehr als 75 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik überhaupt? Selbstverständlich kann und sollte eine Frau endlich auch das höchste Amt im Staat übernehmen.“

Mehr Frauen in der Politik: bisher nichts als leere Worte

Haßelmann beklagt auch die bisherige Praxis: „Viel zu oft gab es Kandidatinnen, die aufgestellt wurden, obwohl längst klar war, dass ein Mann erneut das Amt übernehmen würde. Es ist Zeit, damit endlich Schluss zu machen.“ Sie betont weiter: „Frauen sind über die Hälfte dieser Gesellschaft. Wo Frauen fehlen, fehlt auch ihre Sicht auf die Dinge.“

Eine weitere Politikerin, die mit ihrem Fachgebiet Verteidigung dort spielt, wo „Mann“ sich lange Zeit gar keine Frauen vorstellen konnte, ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die FDP-Politikerin und langjährige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, hat einen Vorschlag, wie man das von Haßelmann beschriebene Problem ganz einfach lösen könnte: „Warum 2027 nicht mal ausschließlich Frauen als Kandidatinnen ins Rennen schicken? Es gibt genug Persönlichkeiten, die infrage kommen. Auch die Herren dürften im Laufe der letzten 78 Jahre erkannt haben, dass nicht nur sie dafür geeignet sind.“

Eine Frau muss gut aussehen, ein Mann nicht

Strack-Zimmermann weist auf die doppelten Standards in der Öffentlichkeit hin: „Wehe, eine Frau performt mal weniger gut oder sieht im Fernsehen ungünstig aus, dann wird das zum Thema, während manch Kollege in einer Talkshow Söckchen tragend dem Publikum seine haarigen Waden zumutet.“

Diese Ungleichbehandlung habe Folgen: „Frauen lernen früh, sich durchzusetzen, aber irgendwann haben viele dann auch keinen Bock mehr auf diese politische Bühne.“ Ein Umstand, der den politischen Nachwuchs schwäche und das Rollenbild junger Menschen präge.

Die Union und ihr Frauenbild

Ein Beispiel für die anhaltende Ungleichheit sieht Britta Haßelmann auch im neuen Machtgefüge der Bundesregierung: „Wie überfällig ein solches Signal ist, kann man am Bundeskanzler sehen. Sein Macht-Zirkel besteht nur aus Männern, auch im Koalitionsausschuss sitzt nur eine einzige Frau, von der SPD. Und das im Jahr 2025.“

Und während Haßelmanns Bündnis 90/Die Grünen als Vorreiter gelten, die Frauen konsequent nach vorne schieben, setzt Strack-Zimmermann noch einen drauf: Die Union habe „die erste Kanzlerin gestellt, aber offensichtlich wirkt das nicht in die eigene Partei hinein“. 

Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann weiß, was es heißt, sich in einer Männerdomäne zu behaupten
© Markus Scholz

Strack-Zimmermann betont die Bedeutung weiblicher Vorbilder: „Gerade junge Menschen suchen ihr Role Model und das in der Regel im eigenen Geschlecht. Eine Frau an der Spitze des Staates wäre ein Vorbild für junge Frauen, aber auch für junge Männer, weil es auch ihr Rollenbild frühzeitig prägen würde.“

Wer könnte die erste Bundespräsidentin werden?

Die Diskussion um eine Frau im Schloss Bellevue ist längst nicht nur theoretisch – es kursieren bereits Namen von Frauen, die als Kandidatinnen infrage kämen. Ilse Aigner, die derzeitige Präsidentin des Bayerischen Landtags und frühere Bundeslandwirtschaftsministerin, wird immer wieder genannt. Die CSU-Politikerin gilt als verbindliche Persönlichkeit, die parteiübergreifend Anerkennung genießt. Zudem halten sich hartnäckig Gerüchte, nach denen es eine Nebenabsprache zum Koalitionsvertrag gegeben haben soll, wonach das Vorschlagsrecht zur Bundespräsidentin bei der CSU liege.

Auch Julia Klöckner selbst, die ebenso wie Aigner mal das Amt der Bundeslandwirtschaftsministerin innehatte, wird genannt. Karin Prien, Bildungs- und Familienministerin in Berlin sowie stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende mit jüdischen Wurzeln, könnte das Amt mit einem progressiven Profil füllen.

Neben Politikerinnen werden auch gesellschaftliche Stimmen in diversen Medien diskutiert: Dunja Hayali, TV-Moderatorin mit irakischen Wurzeln und engagierte Stimme gegen Rassismus, könnte das Amt mit gesellschaftlichem Gewicht prägen. Ebenso werden die Autorin Carolin Emcke und die jüdische Verlegerin Rachel Salamander genannt, die Werte wie Vielfalt, Mut und Haltung verkörpern – genau das, was Deutschland jetzt gut gebrauchen kann. 

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner vorm Schloss Bellevue: Könnte sie 2027 von der Nummer Zwei auf Platz Eins im Staat steigen?
© Bernd Elmenthaler / Future Image

Bundespräsidentin Strack-Zimmermann?

Auch der Name von Marie-Agnes Strack-Zimmermann fällt immer wieder. Auf die Frage, ob sie sich selbst eine solche Aufgabe vorstellen könne, reagiert die Europa-Politikerin mit einem Lachen: „Selbstverständlich. Ich wäre allerdings weniger bequem, für manche vermutlich anstrengend, aber immer klar, offen und geradeaus, denn was wir in diesen Zeiten nicht brauchen, sind Schnörkel oder noch schlimmer politische Floskeln.“

Ob es 2027 mit einer Frau als Bundespräsidentin klappt, hängt vor allem von der Union ab. Denn darüber entscheidet die Bundesversammlung, die sich aus den Abgeordneten des Bundestags und ebenso vielen Mitgliedern, die von den Landesparlamenten gewählt werden, zusammensetzt. Macht die Union nicht mit, wird auch nach Steinmeier in Schloss Bellevue wieder ein Mann sitzen.

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