Smarte Brillen: Warum Sie den Nachfolger des iPhones im Gesicht tragen werden

Was kommt nach dem Smartphone? Das fragen sich Apple, Google und Co. seit Jahren. Smarte Brillen sind am vielversprechendsten. Dabei hatte die Branche sie schon abgeschrieben.

Als mit dem iPhone das erste moderne Smartphone auf den Markt kam, waren die Folgen zunächst nicht abzusehen. Der Mini-Computer im Taschenformat machte Hersteller Apple nicht nur zum wertvollsten Konzern der Welt, sondern läutete auch quasi im Alleingang das Zeitalter des mobilen Internets ein. Doch das ist lange her, das Smartphone wurde vom aufregenden Gadget zum Alltagsgegenstand. Seitdem versucht die Branche, diese Magie erneut zu entzünden. Mit smarten Brillen könnte das endlich gelingen.

Neu ist dieser Gedanke freilich nicht. „Das wird das nächste große Ding“, gab sich Apple-Chef Tim Cook schon 2020 begeistert von der Idee, in Zukunft eine digitale Ebene über die echte Welt zu legen. Tatsächlich geht die Vision weit darüber hinaus, einfach Benachrichtigungen ins Sichtfeld eingeblendet zu bekommen. Mit Augmented Reality (AR), also der erweiterten Realität, soll die digitale Welt nahtlos mit der echten Welt verwoben werden.

Die nächste Revolution nach dem iPhone

Die Auswirkungen auf den Alltag könnten dabei ähnlich groß werden, wie es bei der mobilen Revolution der Fall war. Statt für Navigation auf ein Display zu schauen, würde die Route unmittelbar auf die Straße projiziert, der Abbiegepfeil zeigt direkt in die richtige Straße. Der Preis im Supermarkt könnte für verschiedene Kunden unterschiedlich angezeigt werden – etwa, weil er Teil eines Prämienprogramms ist. Statt Werbung im Laden zu platzieren, kann sie direkt über dem Produkt aufpoppen. Virtuelle Spiele könnten einfach auf dem Tisch erscheinen, für alle Spieler in ihren Geräten sichtbar.

Doch der Durchbruch blieb AR bisher verwehrt. Obwohl die bereits 2012 vorgestellte AR-Brille Google Glass, Microsofts Hololens und die von Apple 2023 vorgestellte Vision Pro technisch enorm beeindruckend waren, teilen sie zwei Probleme: Alle drei Produkte sind für das Gebotene noch viel zu teuer. Und sie sind im Gesicht klar als Fremdkörper zu erkennen.

Technik im Gesicht

Vor allem letzterer Aspekt ist wohl nicht zu unterschätzen. Obwohl Apples Vision Pro von innen großartig wirkt, fühlt es sich immer noch merkwürdig an, wenn ein anderer sie im Gesicht hat. Bei Google Glass war die Abneigung gegen die Träger irgendwann so groß, dass sie als „Glassholes“ verlacht wurden. Brillentragende Arschlöcher. Kein Wunder, dass irgendwann selbst die Google-Gründer darauf verzichteten.

Ausgerechnet die Facebook-Mutter Meta zeigt nun, dass die Geräte bisher eventuell vom falschen Ende gedacht wurden. Dabei hatte Meta selbst eigentlich eine ganz andere Vision der Zukunft gehabt. Mit Oculus übernahm der Konzern einen der führenden Hersteller von VR-Brillen. Meta heißt deshalb so, weil man 2021 voll in die VR-Welt, das sogenannte Metaverse einsteigen wollte. Doch das plätschert seither unbeachtet vor sich hin. Zum Verkaufshit entwickelte sich stattdessen ein viel einfacheres Produkt: die smarte Brille Ray Ban Meta.

Anders gedacht

Die ging die Idee von smarter Technik im Gesicht von der anderen Richtung an. Statt sich zu fragen, wie man ein Display in die Brille bekommt, überlegten sich die Designer, was man mit jetziger Technologie realistisch in eine Brille packen kann. Die Meta-Brille hat genau genommen nur zwei zusätzliche Features: Mit Mikrofonen und zwei Schall-Projektoren ist sie als Headset und Kopfhörer nutzbar, mit der kleinen Kamera im Gehäuse kann man Fotos und kurze Videos aufnehmen. Alle weiteren Funktionen kommen vom Handy.

Dieser Ansatz hat einen gewaltigen Vorteil: Die Brille ist anders als andere smarte Modelle kaum als solche zu erkennen. Die drei verfügbaren Varianten sehen einfach aus wie schicke Ray-Ban-Brillen. Auch der Preis ab 330 Euro ist nicht extraordinär höher als bei anderen Brillen der Marke. Für einen Aufpreis von knapp 120 bis 150 Euro bekommt man Kopfhörer, die nicht stören, und eine Kamera, die man immer dabei hat. Das ist für viele Käufer schon mal ein attraktiver Deal.

Überraschungshit

Der Erfolg überraschte auch Meta: Eine Weile war die Nachfrage so groß, dass der Ray-Ban-Mutterkonzern EssilorLuxottica mit der Produktion nicht hinterherkam und weniger unterschiedliche Modelle anbot, um überhaupt eine Chance zu haben. Zwei Millionen Brillen wurden nach Angaben des Konzerns zwischen Oktober 2023 und Februar 2025 verkauft, ab nächstem Jahr will der Hersteller zehn Millionen pro Jahr an den Kunden bringen. Zum Vergleich: Das erste iPhone wurde knapp sechs Millionen Mal verkauft – bei deutlich größerem öffentlichem Interesse. Kein Wunder, dass mittlerweile eine ganze Reihe von Herstellern entsprechende Nachahmer-Produkte vorgestellt hat.

Einen Erfolgsfaktor hat aber wohl auch Meta selbst nicht erwartet: Die smarten Brillen sind das perfekte Vehikel für die KI-Revolution. Seit ChatGPT Künstliche Intelligenz in den Mainstream katapultierte, experimentiert die Branche damit, spezialisierte KI-Geräte zu entwickeln, die man nicht wie das Smartphone hervorholen muss, sondern etwa als Pin ständig in Reichweite hat. Bisherige Geräte, etwa von den Start-ups Humane oder Rabbit, sind aber nicht nur teuer, man hat im Alltag auch wenig Grund, sie ständig mit sich herumzutragen. Bei der smarten Brille ist das anders: Man trägt sie ohnehin auf der Nase.

Für Meta ist das ein Geschenk. Während die Mehrheit der Nutzer den KI-Bemühungen des Konzerns etwa in Whatsapp oder Instagram eher ablehnend gegenüberzustehen scheint, bekommen die Träger der Ray Ban Meta durch die KI eine Menge Zusatzfeatures. Die Kamera in der Brille kann Gegenstände erkennen und Schilder übersetzen. Und natürlich kann sie auch einfach Fragen beantworten. Alles, ohne das Smartphone herauszuholen. Dabei sind diese Funktionen aktuell wohl nicht der primäre Kaufgrund – die Brille war auch ohne sie bereits beliebt. Meta dürfte damit das attraktivste spezialisierte KI-Gerät auf dem Markt anbieten.

Demnächst dürfte die Konkurrenz aber zunehmen. Auch Apple soll an einer smarten Sonnenbrille arbeiten, die unter der Airpods-Marke erscheinen könnte. Berichten zufolge konzentriert sich Apple-Chef Tim Cook voll darauf, die Brille fertigzustellen. Parallel will der Konzern offenbar auch seine Airpods selbst mit Kameras und KI aufwerten. Auch Samsung und andere Hersteller arbeiten in dieser Richtung.

Ein zweiter Frühling für smarte Brillen

Gleichzeitig kommen aber auch vollwertige AR-Brillen langsam in Fahrt. Haderte die Branche jahrelang damit, die hochkomplexe Technik in kleinen Gehäusen unterzubringen, kommen Unternehmen wie Meta, Snapchat und Google der Vision einer AR-Brille im herkömmlichen Design immer näher.

Auf der Google-Messe I/O zeigte der Konzern jetzt zum ersten Mal den Prototypen einer Neuauflage seiner Glasses. Statt eines futuristischen Looks wirkt sie mehr wie eine etwas klobigere Hornbrille. Trotzdem hat der Konzern ein Display untergebracht, in dem die Brille dem Träger von außen kaum sichtbar digitale Inhalte anzeigen kann.

Bei Snapchat und Meta ist man noch weiter: Beide Unternehmen haben in den vergangenen Monaten Prototypen präsentiert, die vollwertige AR-Inhalte in ein Brillengehäuse bringen. Beide Brillen sind allerdings so riesig, dass man sie im Alltag eher nicht tragen möchte.

Nun heißt es – warten

Bis diese Technik in ganz herkömmlichen Brillen landet, dürfte es noch dauern. Die Miniaturisierung scheint erheblich schwerer, als selbst der langfristig planende Gigant Apple es zunächst erwartet hatte: Nach Insider-Informationen wollte der Konzern seine erste AR-Brille bereits 2019 auf den Markt bringen, 2023 sollte die Technik dann in einem herkömmlichen Brillengestell landen. 2020 musste Tim Cook dann in einem internen Meeting eingestehen, dass man länger brauche. Die Vision Pro erschien Anfang 2024. Bis die erste AR-Sonnenbrille erscheint, wird es also noch ein paar Jahre dauern.

Dass man Nerd-Spielzeuge auch zum schicken Statussymbol machen kann, wurde schon einmal bewiesen: Smartwatches waren lange enorm technisch und wenig attraktiv. Dann kam die Apple Watch.

Quellen:The Verge, Bloomberg

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